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Montag, 2. September 2013

Die unaufhaltsame Verblödung der Deutschen


"In diesem Moment begriff er, dass niemand den Verstand benutzen wollte. Menschen wollten Ruhe. Sie wollten essen und schlafen, und sie wollten, dass man nett zu ihnen war. Denken wollten sie nicht."
Daniel Kehlmann, Die Vermessung der Welt, Rowohlt Reinbek, 2009 .S. 55




Haus am Meer. Filzstift und Aquarell
Kürzlich hielt ein Marketing-Professor aus Krefeld in Dannenberg einen Vortrag zum Thema „Mit Charisma zum Erfolg – Nachhaltige Erlebnisorientierung bei Kommune und Handel“. Was in diesem Vortrag ebenfalls zur Sprache kam, waren Thesen zur zukünftigen Entwicklung unserer Gesellschaft, sogenannte Mega-Trends, mit denen sich auch Kommunen und Gewerbe auseinander zusetzen hätten und die unter anderem die Geburtenentwicklung betreffen. Ich war im Auftrag unserer Lokalzeitung zu diesem Vortrag geschickt worden und zitiere im Folgenden aus meinem Pressebericht vom 15. Mai 2006:
„Der Professor sparte (...) nicht mit klaren Worten: ‚Wer kriegt heute die Kinder - das gutverdienende Anwaltsehepaar oder der Schlosser und seine Ehefrau, die als Friseuse arbeitet?’ fragte er und ließ sein Publikum mitraten. Dieses wusste die richtige Antwort und tippte auf letzteres Beispiel. Die unerfreuliche Folge dieses Trends allerdings, sei, so ließ Schmitz keinen Zweifel, die unaufhörliche Verblödung der Deutschen’."

Dass dieser Bericht und speziell dieses Zitat Reaktionen in Form von Leserbriefen provozieren würde, war zu erwarten. Dennoch war ich überrascht vom Ausmaß des Unverständnisses und der Wut und Empörung, das in den Leserbriefen zum Ausdruck kam. Den entscheidenden Satz über die Verblödung der Deutschen hatte ich wörtlich zitiert, weil er mir typisch schien für die insgesamt eher flapsige Ausdrucksweise des Redners. Wendungen wie „Das ist doch der Hammer“ oder „Das ist doch scheiße“ fielen häufig. Daher habe ich diesen Vortrag auch nicht als witzig charakterisiert (wenngleich bei dem besagten Satz durchaus kräftig gelacht wurde), sondern als „spritzig“.

Man kann den Professor mit Fug und Recht mangelnde Sensibilität bei seiner Wortwahl vorwerfen und auch mangelndes Einfühlungsvermögen in das Niveau seines Publikums an jenem Abend. Mit Sicherheit hätte die Verblödungs-These bei einer anderer Zuhörerschaft - etwa einer Gruppe von Marketing-Studenten oder Unternehmensberatern - andere Reaktionen hervorgerufen. Aber kann irgend jemand ernsthaft den Wahrheitsgehalt dieser Aussage abstreiten? Die Zeitungsleser offenbar können das. Insofern hat der Krefelder Professor seine These quasi am lebenden Objekt verifizieren können. Der von ihm prognostizierte Mega-Trend ist hier längst Realität.

Des Professors Aussage, dass die Deutschen immer dümmer werden, besteht genau genommen aus zwei Teilen. Erstens hat er behauptet, dass immer mehr Akademiker kinderlos bleiben. Sämtliche verfügbaren demografischen Studien und Statistiken bestätigen dies seit Jahren. Das ist der simple Aussagegehalt seines Beispiels vom Schlosser und seiner Friseuse und als Gegenstück dazu dem Rechtsanwaltsehepaar. Er hat nicht behauptet - und schon auf dieser untersten Ebene der Argumentation ist er offenbar komplett missverstanden worden - dass die Nicht-Akademiker zu viele Kinder kriegen. Es ist zu vermuten, dass diejenigen Zuhörer des Vortrags, aber auch Zeitungsleser und Leserbriefschreiber, die zufällig die Berufe des Schlossers oder der Friseuse ausüben, überhaupt nicht verstanden haben, dass die vom Professor gewählten Berufsbezeichnungen stellvertretend für bestimmte Bildungsschichten stehen. Stattdessen haben sie die Beispiele fälschlicherweise auf sich persönlich bezogen.

Zweitens - und jetzt wird es erst richtig interessant - behauptet unser Professor aus Krefeld, dass der soeben beschriebene Sachverhalt dazu führt, dass die Deutschen verblöden. Bleiben wir einen Moment bei dem Begriff Verblödung. Was genau ist damit gemeint?

Mit mehr oder weniger Intelligenz wird man geboren, Bildung muss man sich erwerben. Keine Frage: Ein Schlosser und eine Friseuse können intelligente Kinder hervorbringen. Die Geistesgeschichte kennt viele brillante Köpfe, deren Eltern sogenannte einfache Leute waren. Aber es sind und bleiben Ausnahmeerscheinungen. Kindern zu einer guten Bildung zu verhelfen, ist - zumal für ungebildete Eltern - sehr schwer. Die Benachteiligung fängt bereits in der frühkindlichen Prägephase an. Eine oftmals unterentwickelte sprachliche Artikulationsfähigkeit der Eltern, ein weitgehend bücherloses Zuhause, ohne klassische Musik, ohne Instrumentalunterricht, ohne sonstige geistige Anregungen wie der Besuch kultureller Veranstaltungen, führen zu einem Bildungsdefizit gegenüber Gleichaltrigen aus Mittelstands-Elternhäusern, das spätestens bei Schuleintritt kaum noch aufzuholen ist. Besondere Begabungen der Kinder werden entweder nicht erkannt oder können aus finanziellen Gründen nicht gefördert werden. An den höheren Schulen dann sehen sich die Kinder von Friseusen und Schlossern mit einer rigorosen Sozial-Auslese konfrontiert, der nur die charakterlich Stärksten und Intelligentesten gewachsen sind. Die allgegenwärtige Markenhörigkeit bei den Statussymbolen Heranwachsender - Klamotten, Handy, Computer, später das Auto -, tut ihr übriges, um Kinder aus bildungsfernen Schichten auch sozial zu isolieren und verhindert, dass diese sich die intellektuellen Anregungen, die ihnen die eigenen Eltern nicht geben können, ersatzweise aus der Freundesclique holen. Unter- und Mittelschicht bleiben fein getrennt. Spätestens bei der Frage Studium ja oder nein? trennen sich dann die Wege: Angesichts der nun flächendeckend eingeführten Studiengebühren werden Kinder aus einfachen Verhältnissen im Rattenrennen um die lukrativen Jobs in den höheren Etagen vollends abgehängt.

... und die Folgen

Dumm macht glücklich

Wenn also nun die Akademiker immer weniger Kinder bekommen, dann hat das gravierende Folgen für die Gesellschaft als Ganzes. Hier verschieben sich auf dramatische Weise die Gewichte. Es werden zwangsläufig immer weniger Akademiker nachwachsen. Eine Weile wird diese Minderheit der Bevölkerung ihre Machtpositionen und Meinungsführerschaft vielleicht noch erhalten können, aber irgendwann ist es auch damit vorbei. Die Bildungsfernen werden kraft ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit Regeln und Inhalte des gesellschaftlichen Diskurses festlegen, nicht mehr die Bildungseliten.

Was heißt das konkret? Dass die Zahl der Nichtwähler seit Jahren steigt und die Rechtsradikalen mit ihren einfachen Botschaften, die scheinbare Sicherheit in einer komplexen Welt bieten, immer mehr Zulauf haben, liegt eben nicht (nur) an der Arbeitslosigkeit, sondern ist konkreter Ausdruck der Verblödung. Die öffentliche Sprache der Politik wird von breiten Teilen der Bevölkerung einfach nicht mehr begriffen. Der Intellekt reicht dafür nicht aus. Und nicht nur dieser. Denn für eine Reihe von Standards im sozialen Miteinander, etwa für Kompromissfähigkeit und Toleranz, ist ein Mindestmaß an Intelligenz, vor allem im Form eines Abstraktionsvermögens, vonnöten. Der Dumme hält sich selber immer für grundsätzlich OK. Er kann nun einmal nicht anders - aufgrund der Tatsache, dass er unfähig ist zur Reflexion und demzufolge unfähig, ein kritisches, im Idealfall objektives Selbstbild zu entwickeln, geschweige denn sich in andere Lebenswirklichkeiten hineinzuversetzen. Der Dumme lebt nach dem Motto „Was mir nützt, ist auch für andere richtig“. Weitergehende Begründungen seines Handelns hält er daher für vollkommen überflüssig. Wir werden eine Gesellschaft erleben und erleiden, in der die Menschen andere Meinungen nicht zulassen werden, nur weil sie den eigenen kontingenten sprich zufallsbedingten Lebenswirklichkeiten widersprechen. Solidarität schließlich ist schon heute für viele ein Wort wie aus einer anderen, längst vergangenen Welt. Die Rückstellung der Eigeninteressen oder gar der Verzicht darauf zugunsten der Interessen einer Mehrheit – die Grundlage jeglicher vernünftigen menschlichen Zusammenlebens Gesellschaftsform – liegt für einen wahrhaft Dummen vollkommen jenseits seiner Möglichkeiten. Was natürlich letztendlich das Ende der Politik und das Ende unserer Demokratie bedeutet, aber das will sich die politische Elite immer noch nicht eingestehen. In ihrer Not suchen die Politiker den kleinsten gemeinsamen kulturellen Nenner, mit dem sie ihre Wähler doch noch erreichen können, doch dieser Nenner dürfte inzwischen irgendwo zwischen RTL II und Frittenbude liegen.

Wir erleben schon heute eine Art „Diktatur des Proletariats“ in der Unterhaltungskultur, vor allem im TV. Längst sind in allen öffentlich-rechtlichen Programmen anspruchsvolle Sendungen - man erinnere sich nur an „Das kleine Fernsehspiel“ sowie die meisten kritisch-aufklärerisch-informativen Beiträge - in das Nachtprogramm verbannt worden. Die Politmagazine - einst so etwas wie das Aushängeschild des öffentlich-rechtlichen Rundfunks - wurden derartig gekürzt, dass an eine wirklich investigative Recherche - und vielleicht war genau das auch beabsichtigt - nicht mehr zu denken ist. Wer wissen will, was uns noch blüht, sollte durch die privaten Sender zappen. Noch fällt es Intelligenz-Blättern leicht, sich mit einem süffisanten Lächeln über das Unterschichtenfernsehen zu mokieren. Sind deren Redakteure inzwischen selber zu verblödet, um zu realisieren, dass ihre Leser wegsterben und längst nicht genügend nachwachsen werden? Dass genau diese von ihnen belächelte Unterschicht eine eigene kulturelle Norm etablieren wird, in der mehrseitige journalistische Beiträge mangels Leserschaft keinen Platz mehr haben werden?

Es gibt noch weitere Folgen: Konflikte werden in unserer zunehmend verblödeten Gesellschaft nicht mehr mittels Sprache und Kommunikation, sondern durch körperliche Gewalt „gelöst“. Wer jemals in einen Streit geraten ist mit einer echten Dumpfbacke, und mag der Anlass noch so banal sein, weiß, wovon hier die Rede ist. Wir werden eine Gesellschaft kennen lernen, in der es kein Begriff mehr dafür und keinen Konsens mehr darüber geben wird, was ein sprachliches Argument, also eine gute allgemein rechtfertigungsfähige Begründung, etwas zu tun oder zu lassen, überhaupt ist. Es wird an einem bestimmten Punkt so etwas eintreten wie ein große Verstummen, und zwar eben auch unter denen, die sich noch halbwegs sprachlich artikulieren können. Wer merkt, dass er ständig gegen eine Wand redet, hört irgendwann selber auf zu reden. 


(Geschrieben im Sommer 2006)


Nachtrag im Juni 2012:

Ich zitiere eine weitere Passage aus dem bereits erwähnten Pressebericht von 2006:

"Ungemütlich wurde es für sicherlich nicht wenige Zuhörer bei Schmitz’ Blick in die Zukunft, als er den Wertewandel beschrieb. Hier hätte man sich - und auch in diesem Punkt blieb Schmitz unmissverständlich - auf eine „Stefan-Raab-Gesellschaft“ einzustellen, die einen ganz eigenen Sinn für Humor entwickele und in der Tugenden wie Bescheidenheit und Rücksichtnahme ganz am untersten Ende der Werteskala stünden. Auch Kriminalität und Rassismus würden weiter zunehmen."

Verdammt, der Mann hat so recht.

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