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Mittwoch, 1. Mai 2013

Psychoindustrie und Glückszwang


"Sentenced to drift far away now
Nothing is quite what it seems
Sometimes entangled in your own dreams.
Well, if we can help you we will
Soon as you're tired and ill.
With your consent
we can experiment further still."
Steve Hackett, Anthony Banks, Entangled, 1976




John Everett Millais, Ophelia, 1852, Tate Gallery, London
Die Imperative prasseln täglich nur so auf uns ein: Sei authentisch! Sei du selbst! Lebe deinen Traum! Höre auf deine innere Stimme, auf dein inneres Kind! Setze anderen Grenzen! Sei ein Teamplayer! Engagiere dich! Denk positiv! Sei achtsam! Sei entspannt! Lebe im Hier und Jetzt! Schau nicht zurück! Überall, in den Medien, in den Ratgeberseiten von Zeitschriften, in den Selbsthilfeforen, wimmelt es von widersprüchlichen Befehlen, nirgendwo gibt es ein Entrinnen. Und wenn wir uns mal erschöpft von all den Selbst- und Fremdansprüchen zurückziehen wollen, müssen wir auch dafür kräftig zahlen: im Wellness Hotel, im klösterlichen Retreat, im Urlaub.



Selbstoptimierung

All dies sind reine Verzweiflungstaten, Abwehr- und  Rückzugsphänomene eines Kollektivs von bindungslosen und bindungsunfähig gemachten Menschen, die von der Wirtschaftsdoktrin dazu verdammt sind, ihr Leben lang gegeneinander kämpfen zu müssen. Wo jeder andere mein potentieller Konkurrent ist, mein Fressfeind. In der jede Schwäche eine Angriffsfläche ist, eine Einladung für alle anderen, auf mich einzuhacken. Wenn keiner mehr da ist, der mir zuhört, mich unvoreingenommen wahrnimmt, muss ich zwangsläufig mein eigener Spiegel sein. Deshalb redet einem jeder Coach ein: Du musst dich fokussieren, du musst dir Ziele setzen. Du musst mit deiner Energie haushalten. Sonst kommst du nicht voran. Was sind deine Ziele für dieses Jahr? Für die nächste Woche? Mach eine Excel-Tabelle. Schreib es auf. Setze dir Fristen. Arbeite deine To-Do-Liste ab. Du bist ein Produkt, dein Leben ist ein gewinnorientiertes Unternehmen, das dich produziert und vermarktet. Du brauchst einen Business Plan. Mit Stärken-Schwächen-Analysen, mit Gewinnerwartungen. Nein, die Verlusterwartungen klammern wir aus, das sind negative Glaubenssätze, die stören nur. Du brauchst einen Unternehmensberater, einen Coach. Du bist das wichtigste in deinem Leben! Du hast das Recht, selbstbestimmt zu leben! Lass dich nicht ausnutzen! Du bist doch nicht verantwortlich für die Arbeitsbedingungen in der Dritten Welt! Kauf ruhig weiter deine Markenklamotten ein, made in Bangladesh, made in Vietnam, und Bioprodukte sind auch nicht besser als andere! Du bist es dir wert! Sag öfter mal nein, wenn dich einer um Hilfe bittet ! Mantra: Ein ehrliches Nein gegenüber dem Anderen ist ein ehrliches Ja zu dir selbst. So kann man es also auch sehen. Dieses Mantra rechtfertigt jedes Verhalten. Denn ich habe ja das Recht, meine "Grundbedürfnisse" auszuleben und gegen andere durchzusetzen. Na denn: Eure Armut kotzt mich an.

Cocooning ist ein seit Jahrzehnten ungebrochener Megatrend. Die innere Kündigung in einer als undurchschaubar und zu kompliziert wahrgenommenen Welt, mit dem Gefühl der Ohnmacht.  Der Blick, das Engagement, das Interesse richtet sich nach innen auf das Ich, den engsten Freundes und Familienkreis, die Nachbarschaft. Der Tunnelblick, der blinde Fleck wird verstärkt. Jeder zieht sich hinter seinen eigenen beschränkten Erfahrungshorizont zurück und macht aus diesem dann ein Ratgeberbuch. Wie ich meine Depressionen überwand. Wie ich den Krebs besiegte. Wie ich aus der Stadt aufs Land zog und was ich dort erlebte. Oder umgekehrt. Wie ich die Sahara überquerte. Wie ich mit einem Startkapital von 100 Euro reich wurde – das können Sie auch! Meine Erfahrungen als Lehreranwärter, als Dauerpraktikant, als McKinsey-Berater, als Hartz4-Empfänger – ein Blick hinter die Kulissen. Prominente lassen sich mit Mitte 40 ihre Biografie schreiben, manche sogar mehrfach.

Die – aus heutiger Sicht wohlgemerkt – wahrhaft schillernden Gestalten der vergangenen Jahrhunderte hätten allen Grund dazu gehabt, ihr Leben, ihre Biografie für die Nachwelt festzuhalten. Sie taten es in der Regel nicht, weil sie besessen waren von einem Projekt, einer Idee, die Kunst, die Wissenschaft, ein geerbtes Familienunternehmen, von einer Sache, von der sie wussten, dass sie größer, bedeutsamer war als ihr eigenes begrenztes Leben, und weil sie sich eben deshalb nicht für so wichtig hielten wie die heutigen Zeitgenossen. Die Sucht nach Anerkennung, Status, Macht, der Kontrollwahn, der narzisstische Größenwahn, die permanente Selbstbespiegelung und -vermarktung verhalten sich proportional zur faktisch durchreglementierten, durchnormierten Massengesellschaft, in der der Einzelne zur Steuer- oder Kundennummer degradiert ist, verhalten sich proportional zur unkontrollierbaren, expotentiell wuchernden Weltbevölkerung, proportional zur schwindenden Chance, zu Lebzeiten etwas wirklich Bedeutsames zu leisten, das nicht schon nach wenigen Jahren wieder vergessen ist. Die Vergangenheit und die Nachwelt sind abgeschafft, es zählt nur noch die je eigene Lebensspanne, das Hier und Jetzt.

Die Entwertung der Geschichte dient der Verblendung. Denn wo kein Vergleichsmaßstab, da kein Ansporn zur Verbesserung. Die letzten Vertreter der Generationen, die den jüngeren noch etwas erzählen könnten von einer Gesellschaft, die diesen Namen verdient, in der es Lebensperspektiven für die meisten gab, in der Solidarität institutionell verankert war, in der es noch vorkam, dass Menschen einander halfen, ohne eine Gegenleistung zu verlangen, sind bereits weggestorben, unschädlich gemacht oder im Ruhestand. In der neuen Weltreligion des Marktfundamentalismus gibt es so etwas wie uneigennütziges Helfen, Altruismus gar nicht, weil es das entsprechend dem zugrunde liegenden Menschenbild nicht geben darf.

Nehmen wir das Buch von Gabor Steingart "Das Ende der Normalität. Nachruf auf unser Leben, wie es bisher war" als Beispiel. Hier versucht Steingart, einer der Baby-Boomer, all die Dinge Revue passieren zu lassen, die sich seit seiner Jugend bis heute verändert haben. Mal ganz unabhängig von der Frage, ob seine Fallbeispiele treffend sind oder nicht - wenn man sich die Kundenrezensionen auf Amazon durchliest, muss man feststellen: Verstanden wird er nur von seiner eigenen Generation. Die Jüngeren begreifen buchstäblich nicht mehr, wovon er da überhaupt redet. Da liegt eine unüberbrückbare Kluft in der Wirklichkeitswahrnehmung und -bewertung.

Das ist der Sachverhalt, den die Psycho- und Coachingindustrie konsequent ausblendet, wenn sie den Hilfesuchenden empfiehlt, sich frühere Erfolgserlebnisse zu vergegenwärtigen, um den Selbstwert zu stärken.
"Wenn Sie sich auch manchmal ein wenig hilf- oder machtlos fühlen, dann finden Sie hier drei Tipps, wie Sie mit kleinen Schritten anfangen können, Ihr Denkschema der Hilflosigkeit aufzulösen: Tipp 1: Erinnern Sie sich an positive Beispiele aus der Vergangenheit. Fragen Sie sich: „In welchen Situationen hat mein Handeln früher schon mal Veränderungen bewirkt?“ Und schreiben Sie sich Ihre Antworten hierzu auf. Nahezu jeder findet hier einige Beispiele, wenn man lang genug darüber nachdenkt." (zeitzuleben.de, "Ich kann eh nichts dran ändern...")
Viele Menschen kommen im Alter zwischen Mitte 40 und 50 in eine Sinn- und Lebenskrise, die sie zu den Angeboten der Lebenshilfe-Coaches greifen lassen. In den 70er und 80er Jahren allerdings lebten diese Menschen in einer komplett anderen Gesellschaft: Die Globalisierung und damit einhergehender Wettbewerbsdruck, Breitband-Internet und daraus resultierende flächendeckende Arbeitsverdichtung und Automatisierung, Vernichtung von Vollzeitarbeitsplätzen, Mobbing in Familie, Schule, Beruf gab es nicht oder nicht in dem Ausmaß wie heute. Sie kannten dafür eine Zeit der nuklearen Aufrüstung, der innerdeutschen Grenze, des Kalten Krieges, eine Zeit vor dem Kollaps des sozialistischen Blocks, und speziell die Ostdeutschen haben die totale Entwertung ihrer Biografien, die Entwertung der sozialistischen Utopie erfahren.


Das therapeutische Konzept der Selbstwirksamkeit ist mehr denn je zum Mythos geworden. Gegen das Schmiermittel aus Erbschaft, Aktien- und Immobilieneinkünften, einflussreichen Kontakten, Stallgeruch ist man machtlos, wenn man nicht selbst darüber verfügt. Und man bekommt seine Ohnmacht täglich, sein Leben lang vor Augen geführt: In der Werbung, in den Medien, in den sozialen Netzwerken, im Alltag. Leistung, Wille, Ehrgeiz verpuffen, zeigen keine Wirkung. Die zwangsläufige Folge ist eine massive Gratifikationskrise, die in einer Depression enden kann. Und es ist niemand mehr da, der einen auffängt, wenn’s schlecht läuft.

"Smile or die": Glückszwang


Im folgenden Zitat werden zwei Trends in der Psychoindustrie deutlich: Einerseits fängt man endlich an zu erkennen, dass Dauergrinsen auf Dauer eben nicht glücklich macht (was den Wissenschaftlern und Therapeuten auch genauso gut jeder Mitarbeiter im Kundendienst- und Servicebereich erzählen könnte), sondern im Gegenteil krank, und dass dauergutgelaunte Spaßmacher (die diesen Zustand meist nur mit Hilfe von Psychopharmaka aufrechterhalten können) gegenüber den Nöten ihrer Mitmenschen unempfindlich, unsensibel und immun werden. Andererseits hat sich in den letzen Jahren eine mit großem Aufwand betriebene Glücksforschung etabliert - was empfinden die Menschen als Glück, wie erlangt man es, wie bleibt man dauerhaft glücklich.
"Seit dieser Erfahrung ist Ehrenreich der Meinung, dass ein zwanghaft positives Denken intolerant gegenüber den Sorgen und Ängsten der Mitmenschen machen kann. Diese Gefühlslosigkeit anderen gegenüber werde durch entsprechende Ratgeberliteratur bekräftigt. Bücher wie Psychovampire: Über den positiven Umgang mit Energieräubern zum Beispiel, bieten Tipps gegen missmutige Mitmenschen.  (...) Die Positive Psychologie dagegen will eine Brücke zwischen dem Konzept des positiven Denkens und der Forschung schlagen - und stößt auf starkes Interesse, sogar Regierungen wenden sich Rat suchend an Seligman. Sie wollen erfahren, wie man Bürger langfristig positiver und glücklicher stimmen kann. (...)  Denn wer nicht dauergrinst, sondern sich mit seinen unangenehmen Gefühlen auseinandersetzt, tut seiner Psyche etwas Gutes. Das zeigen Studien von James Pennebaker, einem Psychologen an der University of Texas in Austin. Die Konfrontation mit dem Negativen solle schriftlich geschehen, rät Pennebaker. Er nennt es "expressives Schreiben". In zahlreichen Experimenten hat er festgestellt, dass dieses Schreiben, wenn es regelmäßig geschieht, Menschen nicht nur bei der Bewältigung ihrer negativen Emotionen helfen, sondern auch ihr Wohlbefinden fördern kann - und zwar langfristig." (SPIEGEL online: Psychologie: Die Gefahren des Gute-Laune-Zwangs, 01.01.2011)
Regierungen interessieren sich also für die Glücksforschung. Wen wundert das noch? Weil die 1% spüren, dass der Unmut unter den 99% wächst, versuchen sie es mit einer neuen Art von Gehirnwäsche. Zurück zum einfachen Leben, bescheidet euch mit dem, was ihr habt (Es wird nicht mehr werden. Und um das bisschen, was wir dir gnädigerweise lassen, musst du dich mit deinesgleichen prügeln). Die armen Reichen haben auch Probleme und brauchen unser Mitgefühl. Sie finden z,B. keine lukrativen Anlagemöglichkeiten mehr. Schlimm! An die Möglichkeit zur Veränderung, zur Verbesserung für alle, nicht nur für eine Handvoll Menschen, glaubt keiner mehr. Fatalismus pur. Das Glücksversprechen ist für eine große Zahl von Bürgern ausgerechnet im Kapitalismus gebrochen worden. Jetzt sucht man nach Ausreden. Die Lösung lautet: Du bist selbst schuld.

Die Interpretation der Historikerin Ulrike Frevert im ZEIT- Interview, den Regierungen würde es tatsächlich um das Wohlbefinden aller Bürger gehen, halte ich für gelinde gesagt naiv.
ZEIT: Es ist Mode, das Glück zu messen und in Glücks-Indizes zu bringen. Die geheime Leitfrage aller beteiligten Regierungen und Institute scheint zu sein: Wie befördert man Wohlbefinden? 
Frevert: Ist das überraschend? Von ihren Anfängen an haben moderne Gesellschaften auf dem Versprechen beruht, das Glück aller befördern zu wollen, nicht nur der Happy Few. Das Wohlbefinden eines jeden, im universellen Sinne, ist die zentrale Herausforderung für jede moderne Regierung. Allerdings hat sich das, was man unter Glück und Glückseligkeit verstand, deutlich gewandelt, es ist voraussetzungsvoller und fragwürdiger geworden, aber auch individueller und selbstbestimmter. " (DIE ZEIT, "Alles eine Frage des Gefühls", 06.09.2012)
Eigenverantwortung heißt das Zauberwort. Ich soll Verantwortung übernehmen für meine Gene. Für meine unfähigen Eltern, die selber wiederum ihre eigenen Kriegs- oder sonstigen Traumata an mir ausagieren, soll also auch für die psychosozialen Kriegsfolgen Verantwortung übernehmen, soll Verantwortung übernehmen für meine schlechten Lehrer, für psychopathische Chefs, für kurzsichtige politische Entscheidungen, für globale Bankenkrisen, die ganze Völker ins kollektive Elend stürzen, für globale Pandemien, für den Kollaps des Weltklimas. Für durch und durch fragmentierte, durch Hass, Missgunst, Verachtung vergiftete soziale Beziehungen.

Logisch. Es ist ja auch keine andere Instanz mehr da, die für den Ausgleich von realer Ungerechtigkeit verantwortlich zu machen ist. Kein wahrhaft demokratischer Staat, keine Rechtsprechung, mit Ausnahme des Bundesverfassungsgerichts als letztem Bollwerk, keine ernstzunehmenden Korrektive wie etwa große Bürgerbewegungen oder Gewerkschaften. Nur die allgegenwärtige Leistungsdoktin der globalen Wirtschaft. Wen oder was sonst soll ich also als fehlbares, verletzliches, isoliertes Individuum anklagen, zur Rechenschaft ziehen als mich selbst? Und wer hier nicht ins Schema passt, wird passend gemacht oder zum Ausschuss geworfen. Lukrativer Nebeneffekt: Eine globale Psychoenhancement-Industrie ist entstanden, die von dieser Doktrin und ihren Folgen profitiert. Für stetigen Nachschub ist gesorgt: Während die Industrieländer eines nach dem anderen in die Feudalherrschaft und Ständegesellschaft zurückkatapultiert werden, greift die globale Finanzherrschaft nach den Drittwelt- Ländern.


Das Dogma der Eigenverantwortung ist auch in letzter Konsequenz ein Freibrief für alles Unrecht und jede Grausamkeit, die Eltern ihren Kindern antun können und diese wiederum ihren Kindern. Ein Freibrief für die Täterlobby. Mich würde interessieren, wie viele der Dogmatiker, der Psychoanalytiker, die aus Sicht des Patienten die Täterperspektive einnehmen, von ihm Vergebung einfordern für die erlittenen Verletzungen, selber Eltern sind und sich dadurch implizit von jeder Verantwortung freisprechen. Das starre Festhalten am Dogma jedenfalls lässt auf eine Selbstschutzmaßnahme schließen. Das innere Kind jedoch, das in jedem von uns weiterlebt, dem bereits Unrecht getan wurde, als es sich nicht zur Wehr setzen konnte, wehrt sich gegen diesen erneuten Verrat durch seelische und körperliche Krankheiten, die erst dann geheilt werden können, wenn die berechtigte Wut ihren wahren Adressaten gefunden hat.

Schlau und glücklich sollen wir alle sein, und am besten man fängt so früh wie möglich damit an,  z. B. mit John Medina's "Brain Rules für Ihr BabyWie neurowissenschaftliche Erkenntnisse helfen, dass Ihr Kind schlau und glücklich werden kann."

Die für mich bisher überzeugendste Argumentation wider den Glückszwang habe ich im angloamerikanischen Sprachraum gefunden:
"Thankfully, a few scientists started to study this phenomena. What they found is that as people place more importance on being happy, they become more unhappy and depressed. The pressure to be happy makes people less happy. Organizing your life around trying to become happier, making happiness the primary objective of life, gets in the way of actually becoming happy." (Huffington Post, Todd Kashdan, "The Problem with Happiness", 30.09.2010)
"Leading a happy life, the psychologists found, is associated with being a "taker" while leading a meaningful life corresponds with being a "giver."(...) In other words, meaning transcends the self while happiness is all about giving the self what it wants. People who have high meaning in their lives are more likely to help others in need. "If anything, pure happiness is linked to not helping others in need," the researchers write.What sets human beings apart from animals is not the pursuit of happiness, which occurs all across the natural world, but the pursuit of meaning, which is unique to humans, according to Roy Baumeister, the lead researcher of the study and author, with John Tierney, of the recent book Willpower: Rediscovering the Greatest Human Strength. Baumeister, a social psychologists at Florida State University, was named an ISI highly cited scientific researcher in 2003.
That is, people who thought more about the present were happier, but people who spent more time thinking about the future or about past struggles and sufferings felt more meaning in their lives, though they were less happy.Having negative events happen to you, the study found, decreases your happiness but increases the amount of meaning you have in life. The more one forgets himself -- by giving himself to a cause to serve or another person to love -- the more human he is."Baumeister and his colleagues would agree that the pursuit of meaning is what makes human beings uniquely human. By putting aside our selfish interests to serve someone or something larger than ourselves -- by devoting our lives to "giving" rather than "taking" -- we are not only expressing our fundamental humanity, but are also acknowledging that that there is more to the good life than the pursuit of simple happiness." (The Atlantic, Emily Esfahani Smith, "There's more to life than being happy", 09.01.2013)

Resonanzprinzip


Pseudo-Wahrheiten wie das Resonanzprinzip wollen uns weismachen, dass alles, auch alles Schlechte, was uns passiert, mit uns selber zu tun hat. Dass wir immer auch einen eigenen Anteil daran haben. Das mag bei schlechter Laune zutreffen, aber wie ist es mit Krankheiten, ärztlichen Kunstfehlern, falschen Bankberatern, Unfällen? Hat ein Kind sich seine schlechten Eltern selber ausgesucht? Ziehe ich das schlechte Arbeitsklima in meiner Firma, das Mobbing, Bossing selber an? Habe ich mir es selber ausgesucht, wenn mein Auftraggeber meine Arbeit nicht zahlen kann, weil er insolvent ist, inwiefern spiegelt sich ein Lieferant, der meine Waren nicht liefern kann, in mir selber? Habe ich mir meinen depressiven Vater, meine narzisstische Mutter selber ausgesucht? Was hat das mit mir zu tun? Wo ist mein Eigenanteil an meiner Krebserkrankung oder der meines Kindes an seiner unheilbaren Krankheit oder der Eigenanteil der Menschen in armen Ländern an ihrer Unterernährung? Auch dieses Dogma wird gern genutzt und missbraucht, um Menschen, die es schwerer im Leben haben als andere, eine Eigenschuld zu unterstellen, zu gerne ausgerechnet von jenen, die selber noch nie von Schicksalsschlägen betroffen waren, und um von realen Missständen abzulenken. Folgender Leser-Kommentar auf "Zeit zu leben" ist einer der ganz wenigen, der es wagt, diese Resonanz-Doktrin in Frage zu stellen.
"Das Resonanzprinzip, der Glaube an die “Mitverantwortung”, ist meiner Meinung nach eine Folge von Grenzüberschreitung in der Kindheit, wo z.B. Eltern auf einen Wutausbruch des Kindes mit einem Wutausbruch reagieren und das Kind sieht sich selbst als Ursache für die Situation, auch weil ihm die Eltern dies suggerieren.Genau da fängt die Persönlichkeitsverbiegung an, weil es ab jetzt versucht, sich anders zu verhalten, um das zu verhindern. Was es nicht kapiert ist (offenbar bis ins Erwachsenenalter hinein), dass es Eltern hat, die unbewusst reagieren, anstatt aktiv und bewusst zu gestalten, die nicht gelernt haben, ihre Emotionen zu managen. Ein weitverbreitetes Phänomen gerade in Deutschland und eine folgenschwere Schwäche, an der rein garnichts liebenswertes ist.
Um einmal das ganze Ausmaß der insbesondere in Deutschland herrschenden intellektuellen Stagnation und des Verfalls zu demonstrieren, möchte ich den Autor Florian Rötzer zitieren, der die oben genannte Problematik des Kapitalismus unter dem Titel "Die große Müdigkeit" bereits 1997 – vor 16 ! Jahren - klar erkannt hat.
"Wer sich der Müdigkeit hingeben und von ihr sprechen kann, steht bereits außerhalb der pausenlos aktiven, permanent kommunikationsbereiten, von Innovationen gejagten und natürlich interaktiven Gesellschaft des Informationszeitalters und befindet sich auf der Seite der Verlierer. (...) Die Alternativenlosigkeit des Kapitalismus hat im Zeitalter der Globalisierung das Versprechen verloren, für alle zu einer Welt zu führen, in der die Menschen frei sind und ohne Not leben können."
Erst werden die Menschen kaputt gemacht, dann bietet man ihnen das passende Rezept an. Den Menschen wird eingeredet, sie seien defizient, bedürftig, mit ihnen stimme was nicht (anstatt das System im Frage zu stellen). So einfach kommt man zu Geld. Oder man stellt Reichtum und Glück in Aussicht, wenn man nur diese fantastische einmalige Gelegenheit ergreift, dieses ultimative Geheimwissen, das der selbstlose Guru aus reiner Nächstenliebe zugänglich gemacht hat, und soo günstig im Preis, oder diese einmalige hochwissenschaftliche Methode, zigtausendfach erprobt. Geld funktioniert immer als Lockmittel. Ansonsten gilt: Die Schuld für alles, was einem begegnet, dem Individuum aufladen, das alles Schlimme selber anzieht, und das Ganze nenne man dann "Gesetz der Anziehung": Naturkatastrophen, Krebs, der Unfalltod des eigenen Kindes oder sonstiger Angehörigen, psychopathische Chefs, stalkende Nachbarn. Man soll sich also nicht über mobbende Chefs und Kollegen ärgern dürfen? Über inkompetente und verlogene Politiker, deren Entscheidungen mein Leben tagtäglich beeinträchtigen? Über raffgierige Konzerne? Das ist für mich ein Selbstwiderspruch. Wie verträgt sich diese Doktrin mit der ebenfalls ständig gepredigten Notwendigkeit, anderen Grenzen zu setzen? Mit der Selbstsorge? Mit dem Achtsam sein? Kann sich die Psychoindustrie sich da vielleicht so langsam mal entscheiden?

Wer sich auf seine eigenen Interessen, seinen Egotrip, seinen persönlichen Glücksgewinn fokussiert, blendet automatisch alles andere aus. Das ist ja der Sinn der Sache. Also auch das Leid seiner Mitmenschen. Es sei denn, es lässt sich mit dem Leid anderer Geld verdienen. Es wird von mir verlangt, dass ich beim Aufwachen darüber glücklich sein muss, diesen nächsten Tag zu erleben zu dürfen. Ich muss Glück empfinden bei jedem Sonnenstrahl, beim Anblick jeder Blume, jedem Lächeln. Immerhin brauche ich dafür nichts bezahlen, das bekomme ich geschenkt! Ich soll zufrieden sein, mit dem, was ich habe (es wird nicht mehr werden!).

Im SPIEGEL-Interview "Kapitalismus ist die Neurose der Menschheit" äußert sich die Philosophin Renata Salecl dazu wie folgt:
SPIEGEL ONLINE: Wir sollten also stärker unser persönliches Glück verfolgen?
Salecl: Auch das ist eine Illusion. Glück ist zur Leistungsvorgabe verkommen. Die Welt ist voll mit Frauenzeitschriften, die uns vorschreiben, was uns glücklich macht. Voll mit Facebook-Statusmeldungen, die uns zeigen, wie viel andere aus ihrem Leben machen. Es gibt sogar Indexe, die angeblich erfassen, wie glücklich verschiedene Nationen sind. "Du musst glücklich sein", lautet der gesellschaftliche Imperativ. Wenn du es nicht bist, hast du versagt.
Aha. Nur Loser sind heute unglücklich. Menschen also, die ihre Eigenverantwortung abgegeben haben. Warum durchschaut das eigentlich keiner? Das Diktum der Selbstverantwortung, die zwanghafte Fokussierung auf sich selbst, das eigene kleine Leben, das kleine private Schrebergartenglück (auf Kosten anderer), wird nur dort gefordert, wo es dem globalen Verblendungszusammenhang - Wenn jeder für sich sorgt, ist für alle gesorgt - nützt. In anderen Bereichen, nämlich da, wo der Turbokapitalismus seine sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Verwüstungen hinterlassen hat, soll, nein, muss man sich engagieren: hinschauen, wenn Männer ihre Frauen, wenn Eltern ihre Kinder prügeln oder missbrauchen, man muss alte Menschen besuchen, wenn sie einsam sind, anhalten und erste Hilfe leisten, wenn ein Verkehrsteilnehmer neben seinem Wagen am Straßenrand liegt. Wir sollen unser Geld für die Dritte Welt, unser Blut und unsere Organe für unsere Mitmenschen spenden. Ein Ehrenamt ist heute ein Must have im Lebenslauf. Wir sollen jeden Tag joggen, um für unsere Gesundheit zu sorgen und damit wir bis 75 arbeiten können und nach Renteneintritt hoffentlich bald tot umfallen, wir sollen freiwillig Abfall sammeln, der "Umwelt" zuliebe (und weil die Kommunen sich keine Straßenreinigung mehr leisten können), und uns um die Kastration von Katzen kümmern, die von den Armen und Arbeitslosen ausgesetzt werden. Das nennt man in der Psychologie eine paradoxe Kommunikation, eine Double-bind-Strategie. In der Individidualpsychologie gilt paradoxe Kommunikation als Entstehungsursache für Schizophrenie.


Es kann kein Glück ohne Unglück geben. Das gute Gefühl ist ohne das schlechte nun einmal nicht zu haben. Diese Trivialität, diese Binsenweisheit wird verleugnet, das darf niemand aussprechen oder auch nur denken. In Wirklichkeit erfordert die Aufrechterhaltung des Warenkapitalismus die permanente Produktion von Unglück, von Unglücklichen, er ist zwingend darauf angewiesen, weil sonst die Konsumersatzbefriedigung nicht mehr funktioniert.


Weil die strukturelle Gewalt – Vorrang von Eigentumsrechten vor individuellen Menschen- und Bürgerrechten, ungerechte Bildungsselektion, Vetternwirtschaft, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Alters-, Migranten- und Frauendiskriminierung, intransparenter Arbeitsmarkt, Begünstigung von Unternehmern durch Politik und Gesetzgebung – inzwischen feudale, d.h. statisch zementierte Verhältnisse angenommen hat, die immer weniger Menschen durchschauen, weil sie systematisch belogen werden, greift man auf den Einzelnen, auf das ungeschützte Individuum als Hebel zur Veränderung zurück. Das ist natürlich der falsche Weg, weil der Einzelne damit systematisch überfordert wird, aber das neoliberale Dogma - wenn du unglücklich bist und versagst, bist du selbst dafür verantwortlich - darf um keinen Preis hinterfragt werden. Hier liegt die Komplizenschaft der Psychoindustrie mit den "Eliten" aus Geldadel, Großunternehmen und Politik. 

Kindersprache


Nehmen wir als Beispiel das bereits erwähnte Lebenshilfe-Portal "Zeit zu leben": Dort können wir u.a. folgenden Satz lesen: "Wie kann ich unangenehme Gefühle wegbekommen?" Die Sprache dieses und anderer Lebenshilfe-Angebote allein verrät bereits alles. Es ist eine Kindersprache. Einfachste Stummelsätze, ein Hauptsatz nach dem anderen, der Leser wird natürlich geduzt, dazu lustige Affirmationsposter und -Kärtchen mit motivierenden Sprüchen, mit lustigen Comicfiguren und Sprechblasen. So sieht normalerweise das Kommunikationsniveau bei Grundschülern aus, so spricht man zu unmündigen Kleinkindern. Und wenn man Erwachsene lange genug wie Kleinkinder behandelt, verhalten sie sich irgendwann auch so.

Ein anderes Beispiel: Coach André Loibl (Buchveröffentlichung: "Glücklich sein"), http://www.changenow.de, hat in einem seiner Web-TV-Sendungen "den Geld-Experten Omid Manavi im Interview: "Jenseits von allem Hype und "Verdiene 30.000 € in 30 Tagen" zeigt er Dir Strategien, die wirklich funktionieren. So im richtigen Leben. ;-) Er verrät Dir den wichtigsten Faktor für Geschäfte überhaupt."

Der "Geld-Experte" Omid Manavi wiederum hat den Ratgeber "Adib Geldschlau" veröffentlicht. Man schaue sich bitte auf Amazon mal ein paar Seiten daraus an. Ich habe wirklich zuerst gedacht, das sei ein reines Kinderbuch. Sein Expertenrat: "Mache sie emotional abhängig von dir". Mit "sie" sind die Kunden gemeint. Zitat: "Der Kunde wird dann auch immer den Preis zahlen, den ich verlange". So einfach ist das also. Das ist super. Wenn ich denke, dass ich 50.000 benötige, dann verlange ich eben auch einfach 50.000. XING verrät uns über diesen Geldexperten, dass er an der FH Flensburg BWL studiert hat, gute Kontakte nach Malta hat (Steueroase in Europa), Erfahrung im Aufbau von Callcentern, Finanz- und Internetdienstleistungen (was mir eher nach Steuerhinterziehungsmodellen aussieht). "Meine Arbeit wird zum Teil staatlich gefördert". Auch das noch. Und: "Ich suche Menschen, die mehr Geld verdienen möchten". Na, dann dürfte er ja im Niedriglohnparadies Deutschland offene Türen einrennen.

Wenn man sich all die anderen Ratgeber ansieht, mit denen der Buchmarkt seit Jahren überschwemmt wird, kommt man unweigerlich zu dem Schluss: Es ist unfassbar, auf welch dümmlichen Niveau die Menschen verarscht werden und sich verarschen lassen.


Häufig greifen Psychocoaches auf die Kinderträume ihrer Klienten zurück, um den Imperativ der Selbstverwirklichung zu befolgen. Wir sollen also unsere Kinderträume endlich verwirklichen! Was für eine Gesellschaft soll daraus werden? Wollen wir jetzt alle Piloten oder Astronauten oder Models, Prinzessinnen und Kinderbuchautorinnen werden? Wie soll das funktionieren? Kinder beziehen ihre Wunschträume, ihr Weltbild nicht aus der Erwachsenen-Welt, weil sie dessen Komplexität noch nicht durchschauen können. Ihr Selbstbild ist nicht an die Realität angepasst. Es ist narzisstisch (Allmachtsgefühle). Der Rückgriff auf eine frühere Entwicklungsstufe lässt die Erwachsenen wieder in die Kindrolle fallen - damit der Coach, der Therapeut dann den Platz der allwissenden Eltern-Autorität einnehmen kann.

Weitere Beispiele für das unterirdisch infantile Niveau von Lebenshilfeangeboten liefert der Beitrag "Den Kopf benutzen" auf zeitzuleben:
"Im Grunde ist Nachdenken ziemlich einfach. Man muss sich selbst nur einen Moment ruhig hinsetzen und sich einige Fragen stellen. Am besten sogar mit Stift und Papier." (...) 
"Nachdenken lohnt sich: Es hilft, aus den eigenen Erfahrungen zu lernen und die gleichen Fehler nicht immer wieder zu machen."
Wo sind wir hier eigentlich inzwischen gelandet? Erste Klasse Grundschule? In ein paar Jahren gilt Inlellekt und Reflektiertheit als pathologisch, als Krankheit. Hier noch ein weiteres Beispiel aus dem oben genannten Beitrag (als Antwort auf die nachdenkenswerte Frage, ob es sich für jemanden lohnt, einen schlechter bezahlten Job anzunehmen):
"Ich lerne neue Menschen kennen und erweitere so mein Netzwerk. Und damit auch meine Chancen, einen anderen, besser bezahlten Job zu bekommen. Denn oft hilft es, hier jemanden zu kennen, der jemanden kennt …"
Na sicher doch. Wenn die Leistung allein nicht ausreicht. Und nebenbei ist das Ganze ein Plädoyer dafür, die Ausbeuterindustrie am Laufen zu halten. Lobbyarbeit für Großkonzerne. Gut gemacht, Ralf Senftleben. Und weiter im Text heißt es:
"Was kann ich anderen dafür geben, dass sie mir helfen?"
Alles klar. Die Bilanz muss immer schön ausgeglichen sein. Kosten-Nutzen-Denken. Altruistische Motive – manche Menschen helfen um des Helfens willen, weil sie gern helfen -  sind bereits so selten geworden, dass sie gar nicht mehr in die Betrachtung einbezogen werden. Oder wie wäre es mit dieser Übung "Raus aus dem Gedankenkarussel"?
"Stehen Sie vor einen Spiegel, in dem Sie sich ganz sehen können, nehmen Sie wie ein Schauspieler die Haltung ein, die ein positiver fröhlicher Mensch hat und sagen Sie sich laut vor: “Ich bin positiv, fröhlich und freue mich jeden Tag auf alles was das Leben mir zu bieten hat!”"
Genau. Wie ein Schauspieler.

Mogelpackungen


Bei fast allen diesen Psycho-Angebote lässt sich bei näherer Prüfung feststellen: Vordergründig geht es um die Frage, wie man ein erfülltes selbstbestimmtes Leben führen kann, in Wirklichkeit aber immer wieder nur darum: Wie komme ich an mehr Geld? Das ist nicht nur ein für jeden halbwegs intelligenten Menschen sehr leicht zu durchschauendes Lockmittel, um Kunden zu ködern, sondern das ist heute offenbar die einzig entscheidende Lebensfrage geworden. Armselig.
"Und hier finden Sie eine weitere Übung zum Kennenlernen eigener innerer Stimmen und Botschaften, die uns oft von dem abhalten, was wir uns sehnlichst wünschen (z.B. auch viel Geld zu verdienen!!):" (zeitzuleben.de, "Selbstsabotage")
Das Geschäftsprinzip ist simpel, und es funktioniert. Man kann hier gar nichts verkehrt machen. Die Psychobranche schmarotzt von den allseits bekannten Defiziten in den modernen Industriegesellschaften: Vereinzelung, Überforderung, Perfektionismus, Konformitätsdruck. Sie verspricht Glücks-Strategien, die wirklich, 100%,auf jeden Fall bei jedem funktionieren. Jeder Coach hält sich selber für den besten "Beweis" seiner Strategie, fast jeder hatte sein persönliches "Erweckungserlebnis" - "Ich war schon ganz unten, und heute? Seht mich an!" - und dann sind da noch Tausende begeisterte Kunden, die ihre Dankes-Kommentare auf den Webseiten der Gurus hinterlassen. Wie lässt sich so etwas nachprüfen? Gar nicht. Für stetigen Nachschub ist gesorgt. Während die westlichen Demokratien oder die, die sich dafür halten, eine nach dem anderen in die Feudalherrschaft und Ständegesellschaft zurückkatapultiert werden, greift die globale Bewusstseinsindustrie nach den Schwellen- und Entwicklungsländern. Wem das nicht ausreicht, um sich eine goldene Nase zu verdienen, kann dazu übergehen, die Probleme einfach selber zu erzeugen, die man zu lösen verspricht. Und wenn die "Lösung" nicht funktionieren sollte - der Kunde ist ja selbst schuld. Resonanzprinzip, alles klar? Viele Lebensprobleme ließen sich bereits durch den gesunden Menschenverstand lösen, aber der wird systematisch ausgeschaltet und diskreditiert, denn damit lässt sich ja kein Geld verdienen.


Viele diese Coaches und Gurus präsentieren ihre eigene Biografie quasi als "Beweis", dass ihre Methoden funktionieren. Im Umkehrschluss heißt das dann wieder: Wenn bei einem Kunden wider Erwartungen keine Besserung eintritt, muss der Kunde was falsch gemacht haben. Die Argumentation ist natürlich extrem unredlich, denn die Erfolgsgeschichten der Coaches (die der Kunde ja ohne Überprüfung zunächst einmal nur glauben kann) sind nur begrenzt auf andere übertragbar, Menschen ticken nun mal nicht gleich und reagieren auf bestimmte Dinge unterschiedlich, und jeder muss mit anderen Lebensumständen klar kommen. Und manchmal haben Leute auch einfach nur Glück, aber interpretieren das im nachhinein als eigene Leistung oder als Beweis ihrer erfolgreichen Methode. Im Übrigen: Wo ist der Beweis, dass die Coaches ihre Erfolgsgeschichten nicht auch ohne ihr Rezept, ihre Methoden geschafft hätten?


Ist es unternehmerisches Kalkül oder intellektuelle Bedürftigkeit? Die Psychoindustrie kapiert nicht oder verleugnet kategorisch, dass jede individuelle Veränderung, jede individuelle Entscheidung immer schon in der Vergangenheit oder Gegenwart eine Interaktion mit der Umwelt voraussetzt. Das soziale Milieu, die Gesellschaft, deren Möglichkeiten und Begrenzungen bestehen aus unzähligen Variablen, deren zukünftiges Verhalten niemals, durch keinerlei Strategie planbar ist. Es gibt nur eine einzige Methode, die immer funktioniert, und das ist das evolutionäre Prinzip des trial and error. Versuch und Irrtum. Für die einen führt diese Methode dann vielleicht zum Traumpartner oder Traumjob oder besser gesagt zu dem, was man sich dann als solchen oder solches einredet, für die anderen in eine psychiatrische Klinik oder in den Selbstmord. Aber da sich mit dieser ernüchternden Wahrheit kein Geld verdienen und sie sich auch nicht patentieren lässt, werden weiterhin hübsch verpackte, mehrfach pseudozertifizierte Kurse mit Erfolgsgarantie verkauft - und wenn der Kunde keinen Erfolg haben sollte, liegt es natürlich immer nur am Kunden selbst.

Ein weiterer Knackpunkt: Es gibt Menschen, die von sich selbst so entfremdet sind, dass sie buchstäblich nicht wissen, wer sie sind, was sie mögen, was nicht, was sie können, was nicht. Es sind oftmals Menschen, die sich schon sehr früh festgelegt haben oder vielmehr durch Erwartungen der Eltern haben festlegen lassen, irgendwie im Hamsterrad stecken geblieben sind, wie Automaten gelebt haben, und plötzlich nach Kündigung, nach Trennung vom Partner, nach erzwungenem Stillstand bei Krankheit oder irgendeiner Lebenskrise dann zum ersten Mal vor diesen Fragen stehen: Wer bin ich eigentlich? Was will ich, was ist gut für mich, wo will ich hin, die klassischen Coachingfragen. Menschen, die nie gelernt haben, ihre Bedürfnisse zu spüren, Menschen, denen dies in frühester Kindheit abtrainiert worden ist - an diesen geht jeder Coaching-Kurs vorbei. Man kann in 4 Wochen nicht 10, 20, 30 Jahre Entwicklungsstillstand aufarbeiten oder nachholen.

Die meisten dieser Selbstcoaching-Programme und -Ratgeber beruhen auf Erkenntnissen aus der Verhaltenspsychologie und Neurologie. Genau deshalb sind sich die Programme auch alle so ähnlich. Alle Menschen haben ja dieselbe biologische Grundausstattung. Die Psychologie als akademische Disziplin ist erst knapp über 100 Jahre alt, sie beobachtet und beschreibt menschliche Verhaltensweisen in bestimmten Situationen. Die meisten dieser Verhaltensweisen dürfte es aber auch schon bei Menschen vor 200 Jahren, vor 2000 Jahren gegeben haben. Die Psychologie packt nur nachträglich Etiketten drauf, um daraus eine falsifizierbare wissenschaftliche Theorie zu machen. Keiner dieser selbsternannten Heilsbringer oder Coaches kann von sich behaupten, das Monopol auf die Entdeckung menschlicher Verhaltensweisen zu haben. Und "Geheimwissen" ist es erst recht nicht.


Seit dem Ende der Wirtschaftswunderjahre, seit Beginn des narzisstischen Zeitalters, seit Beginn des neoliberalen Selbstoptimierungsdogmas, also seit mindestens 39 Jahren agiert die privatwirtschaftliche Psychoindustrie (Esoterik, Heilpraktik, Lebenshilfe, Jobcoaching) zusätzlich zur medizinischen Gesundheitsversorgung  (Psychotherapie, Psychiatrie) am Markt. Würden die Gurus der Psychoindustrie ihre Versprechen halten, dann gäbe es mittlerweile kaum noch Bedarf für diese Angebote, dann gäbe es keine Sinnsuchenden mehr, denn inzwischen hat wohl fast jeder einen oder mehrere Kurse und Therapien hinter sich gebracht. Viele kommen aus ihrer Selbstbespiegelungsspirale nicht mehr heraus, taumeln von einem Selbstfindungskurs zum nächsten, machen die Sinnsuche zu ihrem Lebensinhalt. Das sind natürlich die Lieblingskunden der Psychoindustrie. Irgendwann hält sich diese Branche einfach nur noch durch sie am Leben.

Den Placebo-Effekt kennt man aus der Medizin. Es tritt beim Patienten nachweisbar ein positiver Effekt ein, obwohl das Medikament nur eine Zuckerpille ist (was der Patient natürlich nicht weiß). Man will eben daran glauben, dass es wirkt. Dieser Effekt  tritt natürlich auch bei Selbsthilfekursen ein, zumal dann, wenn man viel Zeit und Geld investiert hat in die Übungen.

Die (Auto)suggestion, die Beeinflussung des Unterbewusstseins, gehört zum Standardrepertoire von Psychogurus. Sie kann beim autogenen Training positiv genutzt werden. Aber auch die  Werbung, die politische Propaganda, Scientology und andere Sekten bedienen sich der Suggestion.

Der Kontrollwahn z.B. ist ein maskierter Machtwahn, ist eine direkte Folge des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Der Kontrollwahn wird von Psychologen deshalb flugs zum menschlichen Grundbedürfnis uminterpretiert, um sogleich für die armen Opfer ihres persönlichen Kontrollwahns das passende Rezept bereit zu halten. Einen Brand mit Benzin löschen.

Wie soll der Einzelne anders reagieren, wenn er keine reale Kontrolle, keine Einflussmöglichkeiten mehr hat, weder auf die politischen noch auf die wirtschaftlichen Verhältnisse, wenn von heute auf morgen der Arbeitsplatz wegfällt, wenn mit dem Job auch der Wohnort gewechselt werden muss, wenn man nirgendwo mehr die Möglichkeit hat, zu verwurzeln, eine Familie zu gründen, wenn die sozialen Sicherheitsnetze wegbrechen, das Leben ein einziges unternehmerisches Risiko ist? Die Kontrolle über das eigene unmittelbare begrenzte Umfeld - Partnerschaftsbörsen, Psychotests, Filtermöglichkeiten bei sozialen Netzwerken - ist die einzige verbliebene Möglichkeit, sich noch einen Rest Autonomie zu bewahren.

Wir sind umgeben von Zwiesprech. Gut wird böse, böse wird gut. Die in der ökonomischen Sphäre geforderten Verhaltensweisen wie Egoismus, Rücksichtslosigkeit, Machtstreben, Gier und der "Killerinstinkt" werden jetzt zu menschlichen Grundbedürfnissen, zum urwüchsigen Naturzustand umdefiniert. Das System erzeugt systemerhaltende Krüppel und bietet den ganzen Repressionsapparat auf, um die noch-nicht-Krüppel, sprich die Charakterstarken umzuerziehen.

Vielleicht werden wir eines Tages noch dankbar sein, wenn uns jemand glücksbringendes Soma verabreicht. Huxley's Dystopie wird Realität.

Die Erde ist wie ein riesiger Geflügelhof, wir sind eingepfercht auf diesem Planeten, der uns zu eng wird, ausgelaugt ist, hin und hergeworfen von instabilen, unkontrollierbaren, globalen Verteilungskämpfen, an den Rand gedrängt von den Superreichen, die uns die letzten Ressourcen, das Ackerland und die Mietwohnung unter dem Hintern wegreißen, bedroht von Naturkatastrophen, die immer verheerendere Ausmaße annehmen, unsere Zukunft ist ein schwarzes Loch.


(erstellt Februar 2013, letzte Änderung 07.09.2014)

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