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Dienstag, 15. Oktober 2013

Häng dich doch auf, du Depri



"Es zeugt nicht von geistiger Gesundheit, an eine von Grund auf kranke Gesellschaft gut angepasst zu sein."
Jiddhu Krishnamurti, indischer Philosoph, 1895-1986 



Blumen und Licht. Aquarell
Depressive Menschen sind ein Lackmus-Test, ein Warnsignal für die Gesellschaft, sie sind Charaktertester für ihr soziales Umfeld, falls sie überhaupt noch eines haben. Depressive sind womöglich die letzten Exemplare dessen, was man früher mit dem Prädikat "menschlich" bezeichnet hat als Gegensatz zu "unmenschlich". 
Nach epidemiologischen Studien erkranken etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung im Lauf des Lebens an einer Depression. Gemeint sind damit nicht leichte Verstimmungen, sondern behandlungsbedürftige psychische Probleme. Die von Jahr zu Jahr steigenden Fallzahlen lassen hoffen, dass irgendwann auch der abgestumpfteste, emotional verkrüppelte Rest erkennt, dass etwas grundsätzlich faul sein muss im System. Es ist kein Zufall, dass sich die Zahl psychischer Erkrankungen in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt haben.



Die Depression ist eine potenziell tödliche Krankheit. Etwa 10.000 Menschen sterben laut Statistischem Bundesamt jedes Jahr in Deutschland durch Suizid, es gibt doppelt so viele Selbstmörder wie Verkehrstote. Bei den 15- bis 35-Jährigen ist es die zweithäufigste Todesursache. Nach Angaben des Nationalen Suizidpräventionsprogramms sterben in Deutschland jährlich mehr Menschen durch Selbsttötung als durch illegale Drogen, Mord, Totschlag und Verkehrsunfälle zusammengenommen. Auf jeden Selbstmörder kommen mindestens zehn, die es versucht haben; das sind Jahr für Jahr 100.000.

Wenn Sie sich als Nicht-Depressiver einmal vorstellen möchten, was es heißt, mit einer Depression leben zu müssen: Es ist ein Gefühl, als ob die Füße in zwei schweren Betonklötzen stecken. Und mit diesem Gewicht sollen Sie nun genauso schnell und weit laufen und springen wie die anderen um Sie herum ohne diese schwere Behinderung, nein, in vielen Fällen noch schneller und weiter als andere. Sie sollen damit über Hindernisse springen, ausweichen, Haken schlagen, Treppen steigen, auf einem Bein balancieren, was auch immer. Und das Schlimmste: Die anderen sehen und hören Ihre Betonklötze, die Sie mit sich herumschleppen, gar nicht. Sie verstehen deshalb nicht, was Ihnen selbst ständig, täglich, auch bei den kleinsten Schritten die Kraft raubt. Versuchen Sie sich das einfach mal für einen Moment vorzustellen. Es gibt auch im Leben von Depressiven immer wieder Momente, wo man das niederdrückende Gewicht nicht so spürt wie sonst, aber es ist immer da, jede Sekunde Ihres Lebens. Vor allem morgens gleich nach dem Aufstehen.

Eine Depression ist eine Neurose und keine Psychose. Wer heutzutage immer noch behauptet, Depressive wären eine Gefahr für die Allgemeinheit, wären gemeingefährlich, irre, verrückt, geisteskrank (ja, es gibt solche Leute, ich habe sie erlebt!), offenbart damit nur ein massives Intelligenz- und Bildungsdefizit oder eine niedere Gesinnung. Und nein, eine Depression ist auch nicht ansteckend. Depressionen werden durch eine Stoffwechselstörung des Gehirns verursacht, genauer durch eine Störung des Serotonin und/oder Noradrenalinsystems. Diese Neurotransmitter ermöglichen den Informationsaustausch zwischen den Neuronen. Eine Störung den Botenstoffwechsels wirkt sich auf das Denken, Fühlen und Handeln des Erkrankten aus. Auch die Gicht oder die Schilddrüsenunter- oder überfunktion, Adipositas (Fettleibigkeit) oder Diabetes sind Stoffwechselstörungen. Würden Sie einem Diabetiker sagen, er solle doch gefälligst mal sein Selbstmitleid abstellen und sich zusammenreißen? Er sei ein Drückeberger, ein Simulant? Nein? Warum glauben Sie dann das Recht zu haben, solche Sätze einem Depressiven ins Gesicht zu schleudern?

Depressive sind für niemanden eine Gefahr, außer für sich selbst. Trotzdem - oder gerade deshalb - werden sie wie Abschaum behandelt, werden sie zur Zielscheibe der scheinbar Tüchtigen, auch und besonders in der eigenen Familie, während auf der anderen Seite Psychopathen, die - das gehört nun mal konstitutiv zum Krankheitsbild - überhaupt nicht existieren könnten ohne stetigen Nachschub an Opfern, an Menschen, die sie mit völlig unverhohlenem sadistischen Vergnügen quälen und kaputt machen, in unserer pathologischen Gesellschaft bewundert werden für ihre "Stärke", für ihr "Durchsetzungsvermögen" (was in Wahrheit reinste Rücksichtslosigkeit ist), für ihr "Charisma" (was in Wahrheit Tarnung für ihre Hyde-Identität, reinste Scheinheiligkeit ist). Eine sogenannte Stärke, die permanent einen zum Treten braucht, ist meiner Definition und im übrigen auch der Definition sämtlicher halbwegs intelligenter Menschen in der Vergangenheit nach eine eklatante Schwäche.

Depressive haben aber durchaus einige Vorzüge, die ich hier kurz anreißen möchte.
"Es wird vermutet, dass der größte Teil der jährlich zirka 12.000 Suizide in Deutschland auf Depressionen zurückzuführen ist. Damit sterben mehr Menschen in Deutschland an Depressionen als an Verkehrsunfällen. In einigen Fällen ist die Depression mit anderen Erkrankungen verbunden, so dass sie von den behandelnden Ärzten nicht direkt erkannt wird. Im Alter gehören depressive Syndrome nach den dementiellen Syndromen zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen." (Zitat aus der Wikipedia, Stichwort Depression)
Wie praktisch. So erledigt sich der Altersüberhang von selbst. Wem das zu zynisch ist, für den folgen nun ein paar Zitate vom Psychoanalytiker Arno Gruen:
"Die Nicht-Autonomie hat schreckliche Konsequenzen für uns alle. Es ist derjenige Zustand, worin Jagd nach Macht zum Weg wird, das innere Chaos und die drohende psychotische Auflösung abzuwenden. Mit der Abweisung des Inneren, des Zugangs zum immer lauernden Ohnmachtsgefühl, mit dem Streben nach Macht selber die Selbstablehnung und gleichzeitig die Angst vor der inneren Leere vertiefend, bleibt nichts anderes mehr übrig, als die Verstärkung der Jagd nach Macht. Öffentliche Macht wird dadurch zum Ziel wie auch zur Stütze der persönlichen Einheit. Die Dynamik einer solchen Entwicklung lässt keine echten Kompromisse mit anderen zu. Eine Übereinstimmung sehen die betreffenden Menschen nur als Schwäche im anderen. Für sie gibt es keine Ebenbürtigkeit, man wird entweder beherrscht oder herrscht selbst. Für sie ist die Erfahrung der Kindheit zur Kern-Lektion ihres Lebens geworden: Der Schmerz ist Herr über den Geist, deswegen zählt nur Macht. Sie können nichts anderes zugeben, denn sonst müssten sie die Feigheit ihrer eigenen ursprünglichen Unterwerfung dem Schmerz gegenüber zugeben. Aber gerade ihr Sein wird uns unaufhörlich als realistisch vorgespielt. Es ist ein Sein, das nur dem Tode gewidmet ist, denn für diese Leute bedeutet das Lebendige Gefahr. (...) Die Machtpolitiken, die uns als Realismus vorgehalten werden, bringen die Welt jeden Tag dem Abgrund näher. Es war immer schon so, nur hatten die Mächte nie solche Vernichtungsmittel zur Verfügung." (Arno Gruen, Der Verrat am Selbst, dtv, 2011, S. 159/160)
"Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte mißfallen, dass der Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter die sensiblen, offenen und anfälligen Persönlichkeiten reicher und gesünder genannt hatte als die "robusten" Naturen, die sich allem anpassen können. Alle Vertreter der Macht als einer Ideologie des falschen Selbst fürchten sich vor innengeleiteten Menschen. Und sie verachten sie, weil sie diese Angst nicht zugeben können. Hierbei spielt es keine Rolle, ob einer politisch am linken oder rechten Flügel angesiedelt ist. Überall ist es Machtbesessenheit und nicht Offenheit für die Realität in ihren reichen und lebendigen Möglichkeiten." (Arno Gruen, Der Wahnsinn der Normalität. Realismus als Krankheit: eine Theorie der menschlichen Destruktivität, dtv, 1992, S. 143)
"Während jene als 'verrückt' gelten, die den Verlust der menschlichen Werte in der realen Welt nicht mehr ertragen, wird denen 'Normalität' bescheinigt, die sich von ihren menschlichen Wurzeln getrennt haben. Und diese sind es, denen wir die Macht anvertrauen und die wir über unser Leben und unsere Zukunft entscheiden lassen." (Arno Gruen, Vorwort zu "Der Wahnsinn der Normalität", a.a.O.)
"Der totalitäre Geist ist besessen von der Notwendigkeit, in einer einfachen, klaren Welt zu leben. Alles Subtile, jeder Widerspruch, jede Komplexität erschreckt und verwirrt ihn und wird ihm unerträglich. Er versucht also, das Unerträgliche zu überwinden durch das einzige Mittel, das er in der Hand hat: die Gewalt. "(Jacobo Timerman in 'Wir brüllten nach innen' laut Arno Gruen in "Der Wahnsinn der Normalität", S. 136)
"Die Bereitschaft, die Regeln höher zu achten als das Leben, macht die unheilige Allianz von Konformist und Psychopath möglich." (Arno Gruen, "Der Wahnsinn der Normalität", a.a.O., S. 184)
Arno Gruen vertritt die Auffassung, dass es nicht etwa die Unterschiede, sondern die Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten sind, die Menschen dazu bringen, sich zu bekämpfen. Das Eigene musste einst in einer Kindheit, in der das Kind von den Eltern emotional missbraucht worden ist, als fremd von sich gewiesen, abgespalten werden. Dies wird dem erwachsen Gewordenen zum Auslöser für die Notwendigkeit, Feinde zu finden und sie zu bekämpfen. Alles, was beim Anderen/dem Feind an das verleugnete, abgespaltene Eigene erinnert und die damit verbundene Scham, die Schmerzen, die Not oder kurz gesagt das eigene Opfersein, muss zerstört werden. Hier liegt der Ursprung der Destruktivität.

Was Gruen in seinen Werken formuliert hat, wird heute täglich aufs deutlichste bestätigt. Ich interpretiere die Angst vor "innengeleiteten Menschen", wie Gruen es im obigen Zitat formuliert, als Ausdruck von Selbsthass und Selbstverachtung für den Zombie, zu dem man als Systemkonformer, "Normaler" konditioniert worden ist. Wer von Kindheit an Gefühle unterdrücken und verleugnen muss, um in der Welt bestehen zu können, muss alles und jeden hassen, der diese Gefühle wieder hervorruft oder der diese Gefühle offen und ungestraft auslebt.

Psychisch Kranke haben jetzt eine Twitter-Aktion gestartet, um auf die alltägliche Diskriminierung aufmerksam zu machen, der sie in Deutschland ausgesetzt sind.
"Die Stigmatisierung der Betroffenen ist ein ganz zentrales Problem", sagt Asmus Finzen, Autor des Buches Stigma psychische Krankheit und Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie. "Trotz großer Kampagnen ist die Ablehnung schlimmer als noch vor zwanzig Jahren", sagt Frinzen." (ZEIT online, "Protestaktion #isjairre. Ein Hashtag gibt psychisch Kranken eine Stimme", 25.10.2013)
Noch mal im Klartext: Die Zahl der psychisch Erkrankten nimmt deutlich zu, die Aufklärung über psychische Krankheiten nimmt zu, selbst Prominente bekennen sich heute offen zu ihrer Depression, ihrer psychischen Krankheit, und trotzdem ist die Ablehnung - in Deutschland, wohlgemerkt! -, die Diskriminierung gewachsen (wachsende Diskriminierungen in Deutschland lassen sich übrigens auch für Migranten, Homosexuelle, religiöse und andere Minderheiten nachweisen). Diese Ablehnung ist völlig irrational und unangemessen angesichts der Fakten, der in die Höhe geschossenen Fallzahlen. Sie ähnelt der offensiven Diskriminierung und Verachtung von Arbeitslosen angesichts der fortschreitenden Vernichtung nicht-prekärer Vollzeitstellen. Sie lässt sich deshalb nur als psychologische Abwehrreaktion erklären. Hier tobt sich der Hass der Deformierten aus, die sich ihre eigene Deformiertheit nicht eingestehen können, weil sie sie als Schwäche ablehnen, und stattdessen auf die Kranken einprügeln, die sich zu ihrer "Schwäche", Verletzlichkeit und Verletztheit bekennen und Hilfe in Anspruch nehmen.

Die zunehmende Ablehnung und Stigmatisierung von Menschen, die auch nur einen Millimeter von der Norm abweichen, ist nicht nur Ausdruck verstärkter Intoleranz, mangelnder Reflexionsfähigkeit, mangelnder Empathie (wobei zu fragen wäre, woher und warum diese Defizite, dieser Mangel?). Ich glaube, sie hängt auch mit der Wiedererweckung des untoten Diederich Heßling zusammen. Man erinnere sich: Der autoritäre Charakter ist ein Sozialcharakter. Man kommt nicht als Diederich Heßling auf die Welt, sondern man wird dazu geformt ("Diederich Heßling war ein weiches Kind, das am liebsten träumte, sich vor allem fürchtete und viel an den Ohren litt.” lautet der erste Satz des "Untertan" von Heinrich Mann), und zwar in erster Linie durch die Erziehung, die Gesellschaft, die Kultur und deren Werte: Du sollst nicht fühlen. Was einen nicht umbringt, macht einen stärker. Das Leben ist kein Ponyhof. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. 

Diederich wird dazu abgerichtet, sich der einen, ersten Autorität des Vaters, der Mutter zu unterwerfen, um diese dann gegen andere Autoritäten einzutauschen. Die bereitwillige, ja genussvolle Unterwerfung bleibt lebenslang dieselbe. Als Kind wird die Autorität der Eltern in der Autorität der Lehrer, der Ausbilder re-inszeniert, als erwachsener Lehrer buckelt man vor dem Schulleiter, als Krankenschwester vor dem Oberarzt,  als Gefreiter vor dem Oberfeldwebel, als Finanzbeamter vor dem Oberinspektor, als Angestellter vor dem Chef, der Chefin.

Ich kann aus eigener Erfahrung nur jedem raten: Wer solche Autoritätshörigen in seinem sozialen Umfeld hat, sollte schleunigst den Kontakt zu ihnen abbrechen. Bereits die neutrale Information darüber, dass man in therapeutischer Behandlung ist, sehen solche Menschen als Einladung, ihren latenten Sadismus offen auszuleben. Jetzt dürfen wir auch mal ran, mal so richtig zutreten. Den Dumpfbacken geht’s sofort viel besser, und zwar weil es Ihnen schlecht geht. Sie mit Ihrer Depression sind jetzt ein willkommenes Frustventil. Davon kann man heutzutage in Deutschland gar nicht genug haben. Und die Dumpfbacke wird alles daran setzen, dass das so bleibt. Und die größte Strafe, die größte Niederlage für sie ist, wenn man aus einer Krise gestärkt herausgeht und glücklicher als vorher weiterlebt.

Depressive im besonderen und psychisch Kranke im allgemeinen gehören häufig zum sensiblen, feinfühligen, reflektierten Teil der Bevölkerung. Sie sind oftmals introvertiert, idealistisch, skrupulös, integer, pflicht- und verantwortungsbewusst, mutig, mit hohen ethischen Maßstäben, auch und gerade an sich selbst. Es sind auch in der Regel diejenigen, die auf psychische Krankheiten angemessen reagieren können, nämlich mit Takt- und Feingefühl, mit echtem Einfühlungsvermögen, ohne Heuchelei, ohne Mitleid, ohne überhebliche Ratschläge. Sie sind jenseits der Norm. Es sind Menschen, die sich ihre Individualität, ihre Verletzlichkeit, ihre Ecken und Kanten bewahren konnten. Und wenn die normierten 0815-Typen auch sonst nicht viel um sich herum mitkriegen – dass es da unter ihnen ein paar schwarze Schafe gibt, die anders sind als sie selber, anders als die Herde, das spüren die sehr genau.

Über diesen Beißreflex der "Normalen" äußerte sich die Kinder- und Jugendpsychiaterin Charlotte Köttgen 1994 beim XIV. Weltkongress für soziale Psychiatrie wie folgt:

"Die Vergewaltigung der Gefühle gelingt vielen Normalen bis hin zur Perversion. Die totale Abspaltung von Empathie, Mitleiden, ein fragmentiertes Leben sind so sehr Normalität, dass derjenige, der die Verleugnung nicht mehr erträgt, Selbstkontrolle verliert und den Zwang zur Anpassung durchbricht, erbarmungslos ausgegrenzt werden muss. Spiegelt er vielleicht in unerlaubter Weise die allgemeinen Ängste vieler anderer? Signalisiert er seismographisch nicht nur die eigene, sondern auch eine allgemeine Bedrohung? Trauer, Schwäche, Ängste und Verzweiflung müssen verleugnet werden. Wer das Spiel 'don't worry, be happy' durchbricht, verletzt die Spielregeln." (Charlotte Köttgen: Wir wissen nicht, was Schizophrenie ist, in: T. Bock et al. (Hrsg.): Abschied von Babylon, Bonn 1995, S. 156)

Ich sehe psychisch Kranke, wenn man so sagen darf, als Vorhut, als Speerspitze, als Warnsignal, als Pioniere einer dringend notwendigen Kurskorrektur, eines Wertewandels angesichts einer offensichtlich inhumanen, psychopatischen Gesellschaft und Arbeitswelt (nur Verdrängungskünstler und emotional Abgestumpfte sind logischerweise nicht in der Lage, dies zu erkennen). Nach wie vor gilt: Eine "Stärke", die sich nur und ausschließlich dadurch erweisen kann, dass sie ständig einen zum Treten braucht, die auf Fußabtreter angewiesen, von ihnen abhängig ist, ist keine Stärke, sondern das exakte Gegenteil. Vor 30 Jahren war diese Wahrheit in meinem sozialen Umfeld übrigens Hintergrund- und Allgemeinwissen, dafür musste man nicht einmal Psychologie studiert haben. Bereits an diesem kleinen Vergleich mit der jüngeren Vergangenheit lässt sich das Ausmaß der emotionalen Verrohung, die Pervertierung des Begriffs von Stärke ablesen. Und jeder Therapeut, jeder Arzt, der seinen Eid des Hippokrates geleistet hat, sollte sich tunlichst daran erinnern, wenn er wieder einmal einem Patienten eine Anpassungsstörung anhängen will, nur weil der Patient kein fremdgesteuerter Zombie werden möchte.


Den Millionen von Depressiven oder sonstwie derzeit psychisch Beeinträchtigten möchte ich sagen: Hören Sie auf, sich für Ihre Krankheit zu rechtfertigen. Verweigern Sie die Opferrolle. Seien Sie froh darüber, dass Sie noch ein leidensfähiger, ergo empathiefähiger Mensch geblieben sind. Starten Sie einen Gegenangriff. Denn nicht Sie sind es, die sich zu rechtfertigen haben, sondern die anderen. Sie tragen einen Großteil zur Psychohygiene der Dumpfbacken bei, ob die Dumpfbacken das nun wahrhaben wollen oder nicht. Sagen Sie ihnen das einfach mal direkt ins Gesicht. "Du solltest mir eigentlich dankbar sein." Sagen Sie ihnen: "Wollen wir tauschen? Du kriegt meine Depression, ich mach deinen Job. So unersetzlich, wie du dir einbildest, bist du nämlich nicht." Sagen Sie: "Hallo?? Du wirfst mir Selbstmitleid vor, und ich solle das mal gefälligst abstellen? Was hast du für ein Problem? Wer oder was hindert dich daran, dich krankschreiben zu lassen, eine Therapie zu machen, achtsam mit dir selber zu sein, du kleines missgünstiges Charakterschwein." Sagen Sie: "Wer mit einem Finger auf andere zeigt, zeigt mit drei Fingern auf sich selbst." Spielen Sie den Ball zurück, drehen Sie den Spieß um, sagen Sie: Ausgerechnet du hältst dich für normal? Du hältst es für normal, wenn du einen Wutanfall kriegst, weil ein Gast bei dir zuhause die Spülbürste nicht an ihrem von dir vordefinierten Platz legt? Du hältst dich für normal, wenn du eine Diät machst, weil du dich mit knapp 60 Kilo bei 1,70 cm Körpergröße für zu dick findest? Du findest es normal, 20 Jahre lang eine kaputte Fassadenehe aufrechtzuhalten, in der die Partner sich gegenseitig verachten, nur weil sie Angst vor dem Alleinsein haben? Du hältst es für normal, deine Kinder herumzukommandieren, als ob es deine Haustiere oder deine persönlichen Leibeigenen wären? Du hältst es für normal, eine Panikattacke zu bekommen, wenn du mal einen Tag ohne deinen Schutzpanzer, dein Familienrudel um dich herum auskommen musst, weil du deine eigene Gegenwart nicht erträgst, weil du mit dir selber nichts anzufangen weißt und weil du dann - oh Gott, Hilfe, wie furchtbar - auf einmal anfängst, nachzudenken? Was willst du machen, wenn dein Partner dich verlässt oder stirbt, deine Kinder aus dem Haus sind, wenn du mit 55 gekündigt wirst, alt und unattraktiv geworden bist, bringst du dich dann um oder besorgst du dir dann bunte Pillen? Du hältst dich für normal, wenn du dich erst dann traust, die neue Jacke zu kaufen, wenn alle, aber auch wirklich alle um dich herum mit genau derselben Jacke herumlaufen? Du nennst mich "lebensuntüchtig", aber hältst dich für normal, wenn du dich nicht traust, allein ins Kino zu gehen, dich in ein Café zu setzen, allein in Urlaub zu fahren? Du hältst dich für normal, wenn du deiner Ehefrau verbietest, irgendwo alleine hinzufahren, aus Angst und Eifersucht? Du hältst dich für normal, wenn du nach einem Schlaganfall in ein tiefes schwarzes Loch fällst, weil du mal für ein paar Wochen arbeitsunfähig bist? Was willst du denn machen, wenn du in Rente bist? Fällst du dann tot um vor Scham, kein nützlicher Lohnsklave mehr zu sein, nicht mehr für 5 Euro brutto die Stunde arbeiten zu dürfen? Hältst du das für normal? Du hältst dich für normal, wenn du dich nicht traust, ohne Schminke aus dem Haus zu gehen, wenn du ohne Sehhilfe Auto fährst und dadurch andere gefährdest, nur weil du zu eitel oder zu selbstunsicher für eine Brille bist? Du hältst Leute für normal, die ihren Urlaub abbrechen und panisch zurück in die Großstadt flüchten müssen, weil sie die Stille in der Wüste nicht ertragen können? Du hältst Chefs für normal, die ihre devoten Mitarbeiter dazu aufstacheln, leistungsfähige Kollegen aus dem Betrieb zu mobben, weil sie sich von ihnen bedroht fühlen?

Muss man erst noch daran erinnern, dass es vor noch gar nicht langer Zeit in Deutschland normal war, Juden auf offener Straße anzuspucken, ihre Geschäfte zu demolieren, den Frauen die Haare abzuschneiden? Und das war ja erst der Anfang. Wenig später wurden sie in KZ's verbrannt, zusammen mit den psychisch Kranken, den Behinderten, den Homosexuellen, dem als "unwert" definierten Leben. Wie ist das eigentlich mit dir, Diederich, sehnst du dich insgeheim zurück nach diesen Zeiten? Sehnst du dich wieder nach einem Kaiser, einem Führer, der dir sagt, wo es lang geht? Der mal so richtig aufräumt in diesem Sauladen hier, der das ganze faule Gesocks, diese Kranken und Arbeitslosen, diese Schmarotzer ins Arbeitslager, in die Gaskammer schickt? Sagen Sie den Dumpfbacken: Seht euch doch bloß mal selber um, legt mal eure Scheuklappen ab. Die Welt um uns herum ist euer Werk, sie ist das Produkt all dieser "Normalen", d.h. systemangepassten Schleimer, Blender, Egomanen, Narzissten und Psychopathen (wobei insbesondere letztere jetzt auch noch zu unser aller Vorbild hochstilisiert werden). Also habt ihr gefälligst eure Suppe auch allein auszulöffeln. Denn wir anderen werden in diesem Land von euch doch schon seit Jahrzehnten marginalisiert, ausgegrenzt, stigmatisiert, wo es immer nur geht. Wir dürfen ja nur zugucken, wie Ihr den Rest auch noch kaputt macht. Und dieses faule Ding wird euch so um die Ohren fliegen, dass ihr nicht mehr wisst, wo oben und unten ist. Und fragen Sie auch Ihren Therapeuten: Sagen Sie mal, was halten Sie eigentlich von einer guten und gerechten Welt, in der alle Menschen gesund und zufrieden sind und jeder sein Potential frei entfalten kann? Finden Sie das gut? Und dann achten Sie mal auf die entgleisten Gesichtszüge.

Depressive sollten eigentlich in jedem Unternehmen routinemäßig an betrieblichen Entscheidungen mit größerer Tragweite beteiligt sein, denn sie denken schärfer und schätzen Risiken realistischer ein als "Normale", "Gesunde" - darauf weist z. B. der britische Psychiater Neel Burton hin:
Neel Burton: Psychisch Kranken haftet ein Stigma an, dabei haben ihre Störungen häufig biologische Grundlagen. Außerdem liegen die Symptome, etwa Leid oder der Verlust des Realitätsbezugs, auf einem Kontinuum mit normalen menschlichen Erfahrungen. Ich denke, Angststörungen, Depression oder Persönlichkeitsstörungen könnten aus unserem Bedürfnis entstanden sein, mit unserer Umwelt fertig zu werden und unsere Erfahrungen zu bewältigen. Psychische Störungen können zu Anpassungsvorteilen führen.
ZEIT Wissen: Welche Vorteile sollen das sein?
Burton: Eine Depression etwa kann durch existenzielle Krisen ausgelöst werden und uns zeigen, dass etwas völlig schiefläuft und verändert werden muss. Wer depressiv ist, betrachtet zudem die Welt realistischer und kann Ereignisse besser einordnen, das ist ein Vorteil. Und es gibt Hinweise darauf, dass die Gene, die anfällig für Schizophrenie oder bipolare Störung machen, zugleich Kreativität begünstigen können. (ZEIT Wisssen, "Psychische Gesundheit. Der Wahn-Sinn", 26.08.2011)
Depressionen sind oftmals Ausdruck einer Gratifikationskrise:
"Gratifikationskrisen gelten als großer psychosozialer Stressfaktor. Sie können vor allem in der Berufs- und Arbeitswelt, aber auch im privaten Alltag (z. B. in Partnerbeziehungen) als Folge eines erlebten Ungleichgewichtes von wechselseitigem Geben und Nehmen auftreten. Sie äußern sich in dem belastenden Gefühl, sich für etwas engagiert eingesetzt oder verausgabt zu haben, ohne dass dies gebührend gesehen oder gewürdigt wurde. Oft sind solche Krisen mit dem Gefühl des Ausgenutztseins verbunden. In diesem Zusammenhang kann es zu heftigen negativen Emotionen kommen. Dies wiederum kann bei einem Andauern auch zu einer Depression führen." (Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Depression)
Die Psyche des Depressiven sagt: "Schluss jetzt, es reicht, ich steige aus, ich spiele nicht mehr mit. Macht doch euren Scheiß allein weiter." Genau dies wird den Depressiven von der Herde nicht verziehen. Wieder ein Fußabtreter, ein Trittstein, ein Mobbingopfer weniger. Und Geld kosten sie auch noch. Depressionen gehören zu den häufigsten Gründen für Berufsunfähigkeit.


Dass psychische Krankheiten auch als eine konsequente und in sich schlüssige Reaktion auf ein pathogenes Umfeld gesehen werden müssen, wird konsequent ausgeblendet. Ein krankes Umfeld wird als nicht heilbar hingenommen, der Ausweg ginge nur über die Infragestellung und das Verlassen des Systems. Zu umständlich. Lieber geht man den einfacheren Weg, das Ausmerzen der Isolierten und zum tragischen Einzelschicksal umgedeuteten menschlichen Frühwarnsignale, die dem System den Spiegel vorhalten: Hier stimmt etwas nicht. In einem ZEIT-Artikel aus dem Jahr 1973, in dem die Psychiatrie-Fachbücher von Thomas S. Szasz „Geisteskrankheit - ein moderner Mythos?“ und Erving Goffman „Asyle - Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen“ besprochen werden, ist bereits das Nötige dazu gesagt worden. Die Gesunden werden weggesperrt, damit sich die Kranken weiter für normal halten können.

"Denn das medizinische Modell definiert Krankheit als Krankheit des Individuums; die Pathologie sozialer Organismen (metaphorisch oder nicht) vermag es nicht zu erfassen. Der sogenannte Geisteskranke zahlt die Zeche einer sozialen Kommunikationsstörung; nicht die entfremdeten Beziehungsmuster einer inhumanen Gesellschaft müssen sich ändern, sondern der, der an ihnen zerbricht. Die Krankenrolle schützt also in Wahrheit nicht das Individuum, dem sie zufällt, sondern die Gesellschaft, die den Kranken braucht, um ihre eigene Gestörtheit auf ihn zu projizieren. (...) Konformität gegenüber dem disziplinarischen Anspruch wird dann zum entscheidenden Kriterium für seine Entlassung; sie gilt als therapeutischer Erfolg und als günstige Prognose dafür, daß es dem Patienten gelingen wird, „draußen“ konform zu reagieren. Entlassung nämlich heißt in der Regel nichts anderes als Rückkehr in ein System, von dem die psychotische Reaktion des Patienten nur ein natürlicher Bestandteil war; statt es zu verändern, dressiert man den, der es zu entlarven drohte. (...) Goffman kommt zu dem Schluß, daß der eigentliche Zweck der psychiatrischen Anstalt darin besteht, einen Unterschied zwischen zwei Kategorien von Personen zu inszenieren: zwischen den Insassen und denen, in deren Auftrag die Insassen eingesperrt sind. Wer drinnen sitzt, ist dabei weitgehend Zufall, und nicht ihm dient die Institution; die wahren Klienten sind draußen. Um diesen wahren Klienten das Leben zu erleichtern, werden die Insassen einer selbstentfremdeten Knechtschaft unterworfen." (Die ZEIT; "Eine totale Gegenwelt", von Hans Krieger, 02.03.1973)

Abschließend möchte ich einige Online-Foristen zum Thema zitieren. Man merkt ihren Kommentaren an, dass sich hier Betroffene oder Angehörige zu Wort melden. Die Beiträge sprechen für sich. Jedem einzelnen der Kommentare kann ich aus eigener Erfahrung nur beipflichten. Sie zeugen von Reflektiertheit und Empathie. In Deutschland feiert man heute den Sieg der Charakterschweine. Jeder, der nicht auf derselben niedrigen Stufe steht, wird ausgemerzt. Die einzige Ausnahme gilt für Prominente, die sich - nachträglich - als depressiv outen. Für die hat man Verständnis, zumindest vordergründig. Die dürfen das. Das sind dann sympathische Schwächen. Das ist dann so wunderbar menschlich. Das ist dann das "Ach, siehst du, der ist ja genauso wie wir". Hier zeigt sich wieder der autoritäre Sozialcharakter der Herde. Hinter vorgehaltener Hand darf man dann immer noch lästern. Und das tun die Dumpfbacken dann auch. Toleranz und Gelassenheit im Umgang mit Menschen außerhalb der Norm ist in Deutschland so gut wie ausgestorben. Man vergleiche dazu nur Großbritanniens gelassenen Umgang mit seinen Exzentrikern.

Für Depressive gilt im besonderen das Diktum von Jean-Paul Sartre "Die Hölle, das sind die anderen", und zwar in Gestalt von Häme, Spott, Gehässigkeit, Geringschätzung, Sadismus, Verachtung. Der Vorteil an der Sache: Sie werden sich danach nie, nie wieder falschen Illusionen über Ihre lieben Mitmenschen machen müssen. 

Forenzitate aus:
"Umgang mit Depression: Sprechen Sie darüber - aber nicht mit jedem", SPIEGEL online, 19.10.2012

"Inzwischen stehe ich zu meiner Überzeugung, dass die immer noch anzutreffende latente Tabuisierung - die freilich nachlässt - diejenigen als schwach entlarvt, die sich (aktiv) an Ausgrenzungen beteiligen. Heute sagen ich solchen - manchmal sogar intrigantisch Talentierten - Menschen offen ins Gesicht, dass sie sich schämen müssten! Im wirklich depressiven Stadium kann man aber gerade nicht so gesund reagieren, deshalb sind Freunde und Mitstreiter unbedingt nötig."

"Depressive sind der Spiegel einer Gesellschaft, welche ihren allgemeinen Gemeinsinn verloren haben. Sie spiegeln uns durch ihre Krankheit - wie krank unsere Gesellschaft ist."

"Und was ist mit den Nachbarn im Dorfe? Ein Kollege hat es einmal den Nachbarn erzählt, und nun behandeln sie ihn seit geraumer Zeit quasi als Minderwertigen. Er steigert sich in Vermutungen und Befürchtungen hinein, was diese Nachbarn alles treiben und was die Nachbarn denken was er treibt. Und es ist möglich, das sie wirklich ihr Spielchen mit ihm treiben. Unzähliges hat er darüber zu erzählen, was ihm schon für Merkwürdigkeiten passiert sind."

"Das Problem beim Outen ist, dass man anschließend keine Kontrolle mehr darüber hat, wer was wem weitererzählt. Und dass man das dann nicht mehr rückgängig machen kann. Wenn man es mit intriganten Personen zu tun hat, kann das eine Depression bis ins Äußerste treiben. Ein weiteres Problem ist, dass man u. U. lebenslang stigmatisiert wird, gerade auch in Konfliktfällen nicht mehr ernst genommen wird ("Der/die tickt doch sowieso nicht ganz richtig", "Er/sie hat doch was am Kopf" usw.). Menschen sind nun mal nicht alle und immer nett. Es gibt wirklich erstaunlich viele Menschen, die sich nicht an einen rantrauen, so lange man gesund und fit wirkt, die aber sofort im Rudel zubeißen, sobald sie merken, dass man angeschlagen ist. Das ist leider die Realität. Solche Leute wollen sich auf Kosten anderer selbst erhöhen und von irgendwelchen Komplexen heilen, und weil jemand auf Augenhöhe womöglich als Sieger aus einem ernsten Konflikt hinausgehen könnte, reagieren sie sich dann an Leuten ab, die zu fertig sind, sich noch passabel zu wehren. Hätte ich mir früher alles nicht vorstellen können. Da tun sich wirklich - weitere - Abgründe auf, in die man gar nicht schauen möchte."

"Man verwechselt hier auch gerne Ursache und Wirkung: zuerst kommt die Unlust, wobei ihre Ursachen verschiedenster Art sein können, z. B. auch wiederholte Zurückweisung u.ä. Nun ist der Mensch aber seiner Natur nach ein soziales Wesen, er braucht soziale Interaktion, er braucht andere Menschen. Erst aus diesem Parodoxon entwickelt sich eine Depression, so eine Art Pattsituation der Gefühle."

"Diese Alltagsquälereien, Demütigungen, Mobbing und Gebahren mancher besonders aufgeplusterter Zeitgenossen, die gerne überall Chef spielen und andere Erniedrigen, bekommt man als Betroffener zwar mit, sieht aber rasch durchaus wie lächerlich primitiv dieses, angeblich so normale, soziale Gefüge unserer Gesellschaft ist. Schließlich hat derjenige, der andere erniedrigt, selber ein Problem, es wird aber in weiten Teilen unserer heutigen Gesellschaft akzeptiert, dass er es so angeht, wie er es tut, auf Kosten anderer."

"Trotzdem, es wird heute viel mehr von einem Menschen verlangt und der Fokus liegt auf Gewinn, man lebt um zu existieren und nicht umgekehrt. Dazu kommt die Austauschbarkeit im Beruf und eine "Wegwerfgesellschaft" und Abflachung in puncto Beziehungen. Woher soll der Mensch denn da noch Wertschätzung erhalten, Perspektiven sehen, Kraft schöpfen? Und warum wird sich dann noch gewundert, warum so viele depressiv in unserer Zeit werden?"

"Meine Erfahrung ist, das nicht selten sehr stille ruhige Menschen ( introvertierte Menschen) ( man muss deswegen noch nicht depressiv sein) nicht selten sehr starkem Druck von anderen "normalen" Mitmenschen teils ausgesetzt sind. Das verlangt irgendwie die momentane derzeitige Gesellschaft...schwer zu schildern -Doch die Gesellschaft verlangt danach... ( "mitun" - sich einbringen) das geht schon bei den Medien los.... "Stichwort" übertriebene Sensationsgeilheit und das setzt extrovertiert zu sein statt den Gegenpart sehr stark vorraus. ( auch durch diesen eigentlich ja offiiziell nicht existenten Druck aber doch da können Depression oder soziale Phobien entstehen) Extrovertiert sein , das entspricht dem aktuellen Zeitgeist. Introvertiert sein, nicht "


Siehe zu dem Thema auch::
"Studie: Furcht vor Demütigung treibt Depressive in die Einsamkeit", SPIEGEL online, 18.10.2012
"Menschen mit Depressionen erfahren in der Familie und am Arbeitsplatz Zurückweisung - ausgerechnet dort, wo sie die meiste Unterstützung benötigen würden. Das ist das Ergebnis einer Studie, für die ein internationales Forscherteam mehr als 1000 Betroffene befragt hat."
Forumszitate

"Leute verschweigen Depressionen, wenn sie mal die Erfahrung gemacht haben, dass viele Menschen dieser Gesellschaft GERADE bei angeschlagenen Menschen noch mal nachtreten, und zwar besonders gerne auch noch im Rudel. Und das selbst innerhalb der Verwandtschaft. Ich hätte mir das früher niemals vorstellen können, wie schnell und brutal da ein Schalter umgelegt wird. Aber wahrscheinlich ist das normal. Ist ja im Tierreich auch nicht anders."

"Das Phänomen, daß jeder jemanden etwas braucht, was noch unter ihm steht, und was er nach besten Kräften hassen und verachten kann, ist lange bekannt. Es dient wie das echte Mitleid dem Selbstwertgefühl. Der Mensch schätzt sich nun mal als klüger sein als andere."

"Etwas wurde hier nicht erwähnt: der Spaß vieler Menschen, andere Menschen, denen es schlechter geht, noch mehr zusammenzustauchen, um das eigene Ego zu verbessern ("Häng dich doch auf, du blöder Depri!")."

"Wenn man eine Depression hat, und das Glück, das selber zu ahnen: Medikamente besorgen. Therapie beantragen. Und vor allem: Den Mund halten. Als Mann auch und vor allem der Partnerin gegenüber. Weiter zur Arbeit gehen. Wenn das nicht mehr zu gehen scheint, mehr Medikamente. Jedes andere Verhalten wird zur Folge haben, daß die Umwelt einem die Selbstachtung feinsäuberlich und unbeschädigt entfernt, um sie dann langsam und genüßlich zu zertreten."

"ich finde, wer heute angesichts der Verhältnisse nicht einmal eine Depression gehabt hat, ist ein Roboter."

"Man wird auch gerne so behandelt, als sei man geistig behindert, sobald man psychische Probleme erwähnt."

"Die Toleranz innerhalb der meisten Gruppen, seien es Arbeitskollegen oder Familie, ist, was Verhaltensweisen angeht, extrem eng geworden. Da wird man schon merkwürdig angesehen, wenn man keinen Fernseher hat und nicht nach Malle in den Urlaub fährt. Jede Schicht und jedes Umfeld hat sehr genaue Standards. Wer die nicht einhält, wird sofort aussortiert. Mit etwas Glück findet man dann eine andere Gruppe Aussortierter, oder man steht alleine da."

"(...) dass Darwinismus auch sozial funktioniert. Daher der Begriff "RufMORD"  !!!!!!!!!!!"

"Es ist leider auch ein Phänomen unserer Gesellschaft dass sie vor allem was nicht Bewuderung und Anerkennung erntet wegrennt. ( Alter, Krankheiten und Tod) Wir müssen es akzeptieren dass diese Ercheinungen zu unserem Menschsein dazu gehören. Alles andere ist wohl eine Traumwelt aus der die Menschen wenn sie betroffen werden herabstürzen. Es fehlt einfach ein Stück Realität."

"Weil nach Bekanntwerden jegliches Verhalten auf die Krankheit zurückgeführt wird. Jede normale Stimmungsschwankung wird auf die Depression reduziert. Jegliche Leistungsbereitschaft abgesprochen. Das sind Diskriminierungen mit denen wir konfrontiert werden. Aber ich habe immer noch die Gewissheit und Hoffnung, dass es besser wird."

"Das Erstaunliche: die meisten dieser Organisationen werden von Menschen getrieben, die einst selbst unter Depressionen litten oder es noch immer tun. Diese Leute haben nur ein Problem: es interessiert sich keiner für sie. Das Thema Depression juckt die Medien wohl nur dann, wenn sich mal wieder ein Promi geoutet hat oder man mal wieder einen "Volkskrankheitsbericht" braucht. Voilà. Jeder redet drüber und ganz wenige tun was."

"Typische "Karriere" von hochfunktionalen "Asperger-Autisten", oft hochbegabt und dennoch für "geistig behindert" erklärt, weil sie ungesellig sind, anderen nicht in die Augen gucken und nicht teamfähig sind, nicht telefonieren können usw. Die entwickeln dann auch oft eine Depression, weil sie nicht der Norm entsprechen und nicht selten in irgendwelchen "Umerziehungs-Maßnahmen" landen, wo sie dann lernen sollen, einen "Normalmenschen" wenigstens zu schauspielern. Da gibt es eine regelrechte Psycho-Industrie, die davon lebt, solche Leute "abzurichten". Auf dem Arbeitsmarkt werden die aussortiert - nur 5% arbeiten als Angestellte. Ist schon komisch, wie schnell die Toleranz in unserer ach so hippen, bunten Gesellschaft am Ende ist. Man darf in diesem Land aus religiösen Gründen kleinen Jungs ein Stück vom Schniedel abschneiden, Tieren bei Schlachten den Hals aufschlitzen, Swingerclubs sind gesellschaftsfähig, ebenso gilt es als bizarres, aber doch irgendwie tolerable Macke, wenn sich Leute beim Sex auspeitschen oder sich einen Menschen wie einen Hund halten. Aber wehe, man hat kein Interesse an Geselligkeiten oder guckt Leuten bei Sprechen lieber auf den Mund als in die Augen. Dann wird man schwuppdiwupp für "behindert" erklärt und wandert ab in die Psycho-Industrie. Bin erstaunt, wie schnell sowas gehen kann. Und auf ähnliche "Macken" trifft es ähnlich zu. Ich rede hier nicht von wirklich extremen Psychosen wie bei Schizophrenie oder so, sondern schlicht von harmlosen, wenn auch nicht "normgerechten Programmierungen". Eine Depression dürfte bei den meisten von denen eine logische Folge sein."

"Eine Grundannahme der systemischen Therapie ist folgende: Die Störung, die Symptome oder das Problem ist die derzeit bestmögliche Lösung für das System in einer Konfliktsituation. Es mag im ersten Moment ungewöhnlich klingen, eine Störung als bestmögliche Lösung zu bezeichnen. Dies bedeutet allerdings nur, dass dem System bisher keine andere Lösungsmöglichkeit zur Verfügung stand. In diesem Sinne gibt es nicht den einen kranken Symptomträger, sondern das System, in welchem sich diese Symptomatik entwickeln konnte, rückt in den Fokus der Betrachtung."

"Die Ironie vielmehr, dass wenn sie anstatt Grössenwahnsinnige etwas nachdenklichere und durchaus auch als depressiv zu bezeichnende Menschen wichtige Entscheidungen treffen liessen, Unternehmen viel Geld sparen könnten. Ich denke da eine Geschichte über Edzard Reuter und den damaligen Finanzvorstand von Daimler Benz, der Reuter immerwieder vor seinen Multitechnologie-Konzern-Phantasien gewarnt hatte. Der Mann hat sich später umgebracht, wenn ich mich recht erinnere. Depressive Menschen sehen die Welt häufig realistischer als überschwengliche Egozentriker."
"Gestört sein heißt doch nur, dass man von der Normalität zu weit abweicht. Eben nicht mehr normal ist. Das hat nichts mit Genie zu tun. Dieser ganze Mainstream geht mir aber auch schon lange auf den Nerv. Jegliche Art von Anderstartigkeit wird in Grund und Boden getreten. Es geht doch nur noch darum der Angepassteste zu sein. Alles was anders ist auch gleich wieder schlecht. Viele wollen sich damit auch nicht auseinandersetzen, weil Sie Angst haben. Stattdessen sind sie arrogant und rechthaberisch."


(erstellt Mai 2013, letzte Änderung 07.07.2017)

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