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Sonntag, 28. April 2013

Vor der Wahl ist nach der Wahl


Anlässlich der letzten Bundestagswahl 2009 habe ich eine Reihe von Recherchen betrieben, deren Ergebnisse ich aus Zeitmangel nicht rechtzeitig fertigstellen und in öffentlichen Online-Foren posten konnte. Inzwischen steht die nächste Bundestagswahl an und an der Situation hat sich in den letzen 4 Jahren nicht viel geändert. Nachstehend also die entsprechenden Auszüge zum Thema: Unternehmenssteuerreform 2008 und die Folgen
Die folgenden Zitate sind der Studie "Unternehmenssteuerreform 2008. Kosten und Nutzen der Reformvorschlägeentnommen. Autoren: Prof. Dr. Lorenz Jarrass, M.S. (Stanford Univ./USA), Mitglied der Kommission zur Reform der Unternehmensbesteuerung 1999, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen 2003, und Prof. em. Dr. Gustav M. Obermair, Universität Regensburg.

"Der in Deutschland tatsächlich bezahlte Steuersatz auf Unternehmens- & Vermögenseinkommen, der in den Jahren 1965 bis 1985 im Mittel bei 35% lag, betrug im Jahr 2000 noch 28% und wurde bis 2005 auf 19% gesenkt. Gemäß EU-Angaben hatte Deutschland (neben Griechenland) in 2004 die niedrigste tatsächlich bezahlte Steuerbelastung in den EU15-Ländern und seit 1995 (neben Österreich) als einziges EU15-Land eine Senkung dieser Belastung. Die infolge dieser Steuersenkungen fehlenden Steuereinnahmen sind eine der Ursachen für die hohe Defizitquote und die Finanzierungsprobleme der öffentlichen Hand in Deutschland." (Jarras, S. 4)
"Das deutsche Steuersystem benachteiligt (Kap. 5):
• Investitionen in Deutschland gegenüber Investitionen im Ausland,
• Realinvestitionen in Produktionsanlagen gegenüber Finanzinvestitionen in Beteiligungen,
obwohl Finanzkapitalknappheit wirklich nicht das Problem deutscher Unternehmen
ist;
• Eigenkapitaleinsatz gegenüber Fremdkapitalaufnahme;
• einheimische, insbesondere mittelständische Investoren gegenüber dem globalen
Finanzkapital.
Im wirtschaftlichen Ergebnis wird damit der Export von Arbeitsplätzen steuerlich begünstigt und die Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland steuerlich diskriminiert. Das deutsche Steuersystem wirkt derzeit geradezu als Einladung an internationale Finanzinvestoren, innovative und profitable, insbesondere auch eigentümergeführte Unternehmen aufzukaufen und ihnen den Kaufpreis aufzuhalsen: Die Transformation dieser Betriebe in die Manövriermasse globaler Finanz- und Steuerstrategien wird steuerlich prämiert." (Jarras, S. 5)
"Das deutsche Steuersystem begünstigt, entgegen wirtschaftlicher Vernunft, Passivität (Werte verwalten) gegenüber Aktivität (Werte erwirtschaften). Derzeit werden nämlich Wertsteigerungen, wenn überhaupt, nur bei Verkauf des Vermögensgegenstandes (z.B. Immobilie) besteuert: Nur wer sich wirtschaftlich bewegt, zahlt Steuern. Durch die Besteuerung auch der nicht realisierten Wertsteigerungen würde diese wirtschaftliche Blockade beendet." (Jarras, S. 6) 
 "Die Beschlüsse führen nicht zum angestrebten und behaupteten Steuerausfall von 5 Mrd. € pro Jahr, sondern vielmehr zu jährlich über 10 Mrd. € dauerhaftem Steuerausfall. Das verschlingt die Hälfte des Mehrertrags der Mehrwertsteuererhöhung ab 2007, die bekanntlich v.a. Arbeitnehmer, Rentner und die kleinen Gewerbetreibenden vor Ort wie Handwerker und Gastwirte belastet. Rund 8 Mrd. der angeblichen Gegenfinanzierung sind reine Hoffnungswerte. Es ist ungeklärt, ob und mit welchen konkreten Maßnahmen dieses Mehraufkommen erreicht werden kann. Die Berücksichtigung dieser Hoffnungswerte widerspricht einer ordentlichen Haushaltsplanung: statt harter Gegenfinanzierung luftige Zahlen. Die von Finanzminister STEINBRÜCK vorgeschlagene generelle hälftige Begrenzung der steuerlichen Absetzbarkeit von Finanzierungsaufwendungen wurde bis zur Unkenntlichkeit auf eine Ein-Achtel-Begrenzung zurückgeschnitten. Die steuerliche Privilegierung von Krediten gegenüber Eigenkapital wird deshalb verstärkt, Arbeitsplatzexport und Heuschrecken werden weiter steuerlich begünstigt. Die systematischen positiven Struktureffekte und Aufkommenswirkungen dieses Vorschlags wurden damit zunichte gemacht.
Die vorgesehene Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen ist die widersinnigste Form der Gegenfinanzierung: sie führt nur zu einem Vorziehen von Steuereinnahmen und es werden ausschließlich diejenigen belastet, die in Deutschland real investieren und Arbeitsplätze schaffen, indem sie z.B. Hallen bauen und Maschinen installieren.
Wegen der Einführung eines generellen Steuersatzes von 30% auch für Personenunternehmen bei Thesaurierung der Gewinne kann für Selbständige und Freiberufler - nicht aber für Lohnempfänger - eine entsprechende Senkung des Einkommensteuerspitzensatzes gestaltet werden. Auch dieser Steuerausfall ist bei den offiziellen Aufkommensschätzungen noch unberücksichtigt. " (Jarras, S. 9)

"Am 25. Mai 2007 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Unternehmensteuerreform 2008 beschlossen. In der Anhörung des Finanzausschusses des Dt. Bundestages am 25. April 2007 hat Prof. Jarass dieses Gesetzes bewertet (vgl. Kap. 10.7):
Vor der Wahl abserviert, wird nun das Kirchhof-25%-Modell doch umgesetzt, aber
nur für Unternehmer und Sparer:
• Einbehaltene Unternehmensgewinne sollen zukünftig mit gut 25% besteuert werden, private Kapitalerträge mit maximal 25%.
• Nur noch Löhne werden weiterhin mit bis zu 42% besteuert, die höhere Mehrwertsteuer finanziert die resultierenden massiven Steuerausfälle von jährlich über 10 Mrd. €.
• Die Unternehmenssteuerreform 2008 schwächt in Kombination mit der geplanten
Abgeltungssteuer von 25% systematisch die Eigenkapitalbasis von Mittelständlern.
• Die Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen begünstigt Finanzinvestoren
und benachteiligt Arbeitsplatz schaffende Realinvestitionen.
• Die Abzugsbeschränkungen von Finanzierungsaufwendungen bei der Gewerbesteuer sind marginal und deshalb wirkungslos.
• Die Zinsschranke ist wegen der Escapeklauseln kontraproduktiv.
• Die geplante Besteuerung von Funktionsverlagerungen und die Einschränkung von Verlustvorträgen sind sinnvoll.
Ergebnis:
Die Unternehmensteuerreform 2008 kostet nicht – wie behauptet – 5 Mrd. €,
sondern über 10 Mrd. € pro Jahr. Sie hat schädliche Auswirkungen auf Arbeitsplätze und ökonomische Stabilität, da die Steinbrück-Strukturreformen kastriert wurden: Die steuerliche Privilegierung von Krediten gegenüber Eigenkapital wird verstärkt, Arbeitsplatzexport und Heuschrecken werden weiter steuerlich begünstigt." (Jarras, S. 11)
"Der Anteil investiver Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden ist mangels Einnahmen seit 2001 Jahr für Jahr zurückgefahren worden. Die von der Regierung mit voller Unterstützung der Opposition seit Ende der 1990er Jahre durchgesetzten drastischen Senkungen der nominalen Steuersätze, mehr noch die in Kap. 4 und 5 im Detail beschriebenen enormen zusätzlichen Steuergestaltungsmöglichkeiten, haben diese Probleme nicht gelöst, sondern verschärft. Sie zeugen aber von einem tiefen Glauben an das Dogma: “Senkt die Steuern für die Reichen und die Konzerne in Deutschland, dann erhöhen sie im Inland ihre Investitionen, dann steigt die Konjunktur, Arbeitslosigkeit und Staatsdefizit sinken, und alles wird gut.“ Für eine geschlossene Volkswirtschaft mag diese Erwartung nicht gänzlich verfehlt sein, in einer globalen Ökonomie ist sie ohne jede Begründung und von der Wirklichkeit drastisch widerlegt: Die eingesparten Steuermilliarden werden bei Banken angelegt oder sie fließen als Investitionen überwiegend dorthin, wo wachsende Märkte und niedrige Löhne die relativ höchste Rendite erwarten lassen." (Jarras, S. 18)
"Wurde also seit 2001 durch einige gegen den Rat vieler Experten getroffene Entscheidungen die Finanzkraft der öffentlichen Hand nachhaltig geschwächt, so ist zugleich die tatsächlich bezahlte Steuerlast noch ungleichmäßiger auf die Unternehmen verteilt worden, wie die Analyse im folgenden Kapitel 2 detailliert herausarbeitet: Während es vielen, vor allem global agierenden Unternehmen gelingt, auch bei sehr guter Ertragslage ihre Steuerlast ganz legal auf weit weniger als die Hälfte der des nominalen, also gesetzlich vorgesehenen Steuersatzes zu drücken, zahlen andere Unternehmen nahezu voll diesen Steuersatz von rund 39% (Körperschaft- plus Gewerbesteuer), Einzelunternehmer sogar bis zu 42%. Diese offensichtliche Ungleichheit, die vor allem regional operierende und mittelständische Unternehmen benachteiligt, müsste dringend wieder – europakonform – verringert werden. Schließlich wirkt die derzeitige Gesetzeslage im deutschen Steuerrecht geradezu als Einladung für internationale Finanzgesellschaften, gut gehende inländische Unternehmen aufzukaufen, ihnen den Kaufpreis aufzuhalsen und sie schließlich zu zerschlagen. In jedem Fall subventioniert das deutsche Steuersystem den Export von Arbeitsplätzen ins Ausland." (Jarras, S. 19)
"Die tatsächlich bezahlte Steuerbelastung der Unternehmen in Deutschland ist deutlich niedriger als in vielen anderen europäischen Ländern, sie liegt deutlich unter dem EU15-Durchschnitt und, wenn überhaupt, nur geringfügig über dem Durchschnitt der neuen EU-Mitgliedsstaaten im östlichen Europa. Um Fehlinformationen über die tatsächlich bezahlte Steuerlast der Wirtschaft entgegenzutreten, werden in diesem Kapitel 15 die tatsächlich bezahlten Steuern erhoben, aufgeteilt auf körperschaftsteuerpflichtige Unternehmen (AG, GmbH etc.) und alle übrigen Unternehmen (Personengesellschaften wie KG und Einzelunternehmer). Alle in diesem Bericht dargestellten Zahlenangaben stammen aus amtlichen Statistiken der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Kommission." (Jarras, S. 21)
"Erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland ist in 2005 die Summe der nominalen Arbeitnehmerentgelte gefallen und zwar um 0,5%; sie sind damit nicht höher als in 2002, nach Abzug der Preissteigerung sogar deutlich geringer. Die Unternehmens- & Vermögenseinkommen hingegen sind allein von 2004 auf 2005 um 6% gestiegen, sie sind fast ein Viertel höher als in 2002." (Jarras, S. 29)

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