Seiten

Mittwoch, 20. März 2013

Der meistverkaufteste Staubsauger



"Die Sprache ist die Mutter, nicht die Magd des Gedankens."
Karl Kraus (1874-1936) in: Die Fackel 288, S. 14, Pro domo et mundo




Man sollte (sollte man wirklich?) sich mittlerweile daran gewöhnt haben, aber es nervt mich weiterhin, und ich werde mich nie daran gewöhnen: In den Medien – Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Nachrichtensendungen – wimmelt es nur so von Schreib- und Sprachfehlern. Die neuen Regeln der Rechtschreibreform, und hier vor allem der Unterschied zwischen dem Relativpronomen "das" und der Konjunktion "dass" (vor der Reform: "daß") haben offensichtlich nicht nur weite Teile der Normalbevölkerung überfordert, sondern sogar die Textprofis, wie folgende Beispiele zeigen.




Nehmen wir doch einfach mal "Deutschland. Abstieg eines Superstars" von Gabor Steingart, Piper, aktualisierte Ausgabe 2005:

"Beiden hatten des Öfteren schon an Kohls Redemanuskripten mitgewirkt." (S. 233)

"Die ideologischen Häutungen sind abgeschlossen, so dass zwei Pragmatiker das Steuer in der Hand halten, die alles schon gedacht, gesagt und ihm Falle Fischers auch gemacht haben (...)“ (S. 256)

"(... ) wie eine Verhöhnung derer, die Sparen sollen und nicht wissen wovon." (S. 283)

"Um die staatliche Pflichtpolice für alle bezahlbar zu halten, ist die eine Gesundheitsprämie für alle, wie sie die CDU auf ihrem Leipziger Parteitag beschlossen hat, nicht praktikabel." (S. 284)

Im SPIEGEL sieht's auch nicht besser aus:

"Es war ein phantastischer Abgang, ein derartig stilles, seitliches, schnörkelloses Verschwinden, dass die Modebranche bis heute verblüfft." Der SPIEGEL Nr. 45, 2009, S. 193

"Oft sind dass nur ein paar Cent, doch bei hartumkämpften Märkten kann eine kleine Zeigefingerbewegung für Google schon dreistellige Eurobeträge bringen." Der SPIEGEL Nr. 5, 2009, S. 59

Oder wie wär's hiermit:

"Falls die kleine Bevölkerung dass Inzesttabu außer Acht ließ, es er durch die nachfolgende Inzucht zu einer Vermehrung körperlicher Missbildungen gekommen sein, wie es auf der Insel Martha's Vineyard vor Massachusetts mit der Taubheit oder auf der abgelegenen Atlantikinsel Tristan da Cunha geschah." (S. 171)
(Der Satz müsste eigentlich lauten: "Falls die kleine Bevölkerung das Inzesttabu außer Acht ließ, könnte es durch die nachfolgende Inzucht zu einer Vermehrung körperlicher Missbildungen gekommen sein, ..." )

"Als Eutrophierung bezeichnet man übermäßiges Algenwachstum, dass durch die eingespülten Nährstoffe verursacht wird." (S. 450)

Gefunden in "Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen" von Jared Diamond, S. Fischer Verlag 2006.

Tom Schimmeck: "Am Besten nichts Neues", Westend Verlag, 2010:
"Worauf dieser eklatante Mangel an Eigensinn zurückzuführen ist, der etwa zur Folge hat, das Politiker unisono herauf- oder heruntergeschrieben werden." (S. 16)
"Der Blätterfabrik produziert 308 Zeitschriften in 14 Ländern (...)" (S. 42)
"Oft ist schon die bloße Werbe-Einsatz eines "Promi"Pseudo-Ereignis genug, um wiederum Berichterstattung zu erzeugen, natürlich mit Bildern des bekannten Gesichts." (S. 81)
"Für jede Eventualität liegen fertige Textbausteinen bereit." (S. 257)

Weiter geht's:

"...erfolgreich, grenzauthistisch und definitiv sozial gestört...", im Bericht "Wenn nur Robert Pattinson nicht wäre" auf ZEIT online, 26.05.2012. (Der Fehler wurde mittlerweile korrigiert.) 
Es handelt sich dabei wahrscheinlich nicht um einen einfachen Tippfehler. Denn interessant ist: Für "grenzauthistisch" findet Google am 26.05.2012 immerhin 70 Ergebnisse. Bereits 2008 taucht dieser Rechtschreibfehler erstmals auf. Daraus kann ich nur schließen, dass ein Redakteur ihn vom anderen übernimmt/kopiert hat, anstatt einfach mal im Duden nachzuschauen. 

Dann haben wir noch Frank Schirrmacher's "Ego. Das Spiel des Lebens" (Blessing, 2013): "Von dem berühmtesten Exemplar, jener lebensechten Ente, die bereits Goethe im bejammernswerten Zustand sah und die Napoleon deshalb nicht zurückkaufen wollte, tauchte in den Dreißigerjahren in einem französischen Museum ein mysteriöses Foto auf, dass das halb skelettierte mechanische Tier angeblich in Dresden zeigte." (S. 125/126)

ZEIT online, 20.03.2013, 12:42 Uhr, "Angst vor dem Sturm auf die Banken", von Malte Buhse:
"Ein Versprechen, dass die Kanzlerin vor wenigen Tagen erneuert hat."

ZEIT online, 22.03.2013, 11:32 Uhr, "Behörden wollten 70.000 mal Nutzerdaten von Microsoft" von Patrick Beuth:
"Nach Google und Twitter ist Microsoft das dritte große Unternehmen, dass einen solchen Transparenzbericht veröffentlicht."


ZEIT online, 17.10.2012, 15:52 Uhr, "Wirtschaftskrise: Großbritannien klammert sich an die Zukunft" von John Jungclaussen:
"Am nächsten Morgen blickte die Nation unglaubwürdig auf die Bilder der Verwüstung." (Mittlerweile korrigiert)

ZEIT online, 28.05.2013, 12:41 Uhr, "Staatsverschuldung: Die Ökonomen-Seifenopervon Malte Buhse:
"Jetzt wehren sich die Beiden. Am Wochenende machten Sie ihrem Ärger in einem Brief an Krugman Luft. 'Wir sind sehr enttäuscht, über ihr unfassbar unzivilisiertes Verhalten in den vergangenen Wochen', schreiben die beiden Ökonomen Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart (Universität Maryland) in einem Brief an Paul Krugman, den sie am Sonntag auf ihrer Internetseite veröffentlichten."

Auf demselben Niveau SPIEGEL online am 31.03.2013, "Kinderloses Deutschland: Lieber Osterhase, bitte bring uns Rauschmittel" von Silke Burmester.
"Ihr geht das Risiko ein, dass das Leben mit sich bringt."

Weitere Beispiele gefällig? Im TV musste ich Folgendes hören: „Du bist die Flügel, du bist Deutschland“ (unter Bezugnahme auf das Gleichnis vom Schlagen eines Schmetterlingsflügels, der anderenorts einen Wirbelsturm auslösen kann).

Oder hören wir den damaligen Außenminister Steinmeier im "heute journal", der uns darüber informierte, dass ein "Verdacht aufgetaucht worden ist“. 

Die Worte eines chinesischen Politikers, der zu seinem Volk sprach, wurde in den Tagesthemen wie folgt übersetzt: "Ich weiß, wie doll Sie leiden". Kein Scherz - leider.

",,.nach einem hoffentlichen Sieg...", Juni 2012, ARD-Berichterstattung zur Europameisterschaft.

Oder – schon vergessen? – die unsäglichen Werbeslogans wie „Deutschlands meiste Kreditkarte“ (American Express), „Das König der Biere“ (Warsteiner), "Der längste Geschmack, seit es Kaugummi gibt" (Wrigley's). Anja von "Wohnen nach Wunsch", die wegen ihres Genuschels ohnehin dringend einen Sprechkurs besuchen müsste, lässt uns auf VOX wissen: "Das ging schnell, trotz dass es so viele waren". Und im RTL-Shop preist eine Moderatorin gleich dreimal den "meistverkauftesten Staubsauger" an.

Es geht hier noch nicht einmal um gutes, sondern einfach nur um richtiges Deutsch. Ich frage mich: Was ist so schwer daran? Warum reichen 12 oder 13 Schuljahre offenbar nicht mehr aus, um seine Muttersprache fehlerfrei anwenden zu können? Und wozu gibt es Korrektoren? Oder ist dieser Berufsstand mittlerweile ausgestorben? Immerhin waren fehlerfreie Bücher zu anderen Zeiten durchaus erhältlich, was jeder leicht feststellen kann, der ab und zu auch ältere Bücher liest. Vor dem Hintergrund des heutigen allgegenwärtigen Gestammels wirkt die Forderung nach einem Sprachtest für Einwanderer einfach nur bizarr.



(Geschrieben ab 2006)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen