"Quite
an experience to live in fear, isn't it? That's what it is to be a slave."
Replikant
Roy, in "Blade Runner", 1982, Regie: Ridley Scott
Abstrakt. Aquarell |
Wir mit unserem Reptilienhirn und mit unserem über Generationen erlernten und durch eigene Erfahrungen scheinbar erprobten Bild vom idealen Markt im Kopf versuchen zu verstehen, wie es nur dazu gekommen sein kann, dass eine kleine Zahl von Unternehmenslenkern es über die letzten Jahrzehnte geschafft hat, weltweit alle wichtigen Regierungen zu kontrollieren und so zu gängeln, dass ihre eigenen wirtschaftlichen Gewinninteressen verlässlich, über alle Staatsformen, alle Parteien und alle Legislaturperioden hinweg durchgesetzt werden.
Wenn wir an die Deutsche
Bank denken, glauben die meisten von uns immer noch, es wäre eine deutsche
Großbank, eine Bank mit Sitz in Deutschland, mit vorwiegend deutschen
Mitarbeitern, mit deutschen Vorständen. VW ist für uns immer noch eine deutsche
Automarke, ebenso Daimler und BMW, Siemens ein deutscher Technologiekonzern,
die Telekom ein deutscher Telefon- und Internetanbieter. Monsanto, Bayer,
Nestle, Shell, die Kette lässt sich beliebig fortsetzen. Alles falsch, alles
völlig naiv. Großkonzerne sind keine Wirtschaftsunternehmen wie andere, etwa
mittelständische Betriebe, es sind im philosophischen Sinn eigene
Entitäten mit einer eigenen Logik.
Deutschland liegt in der
Mitte Europas und ist mit roundabout 80 Millionen Einwohnern der bevölkerungsreichste
Staat in der EU. Soviel steht fest. Glaubt irgend jemand im Ernst, dass diese
Konzerne jemals freiwillig auf diesen fetten Marktanteil verzichten?
Sollen sie doch ins Ausland oder nach China gehen, hört man zuweilen. Da sind
die doch schon längst! Die Schwellen- und Entwicklungsländer sind genauso
betroffen, der große Ausverkauf nationaler Schätze und Ressourcen hat auch hier
bereits begonnen.
Wir werden von morgens bis
abends abgezockt, ein Leben lang. Besonders die Deutschen zahlen grundsätzlich
überhöhte Preise für immer schlechtere Qualität, und der Konzerngewinn landet
nie bei den Produkten in Form von Produktverbesserungen, nie bei den
Mitarbeiten in Form von Lohnerhöhungen, sondern immer nur bei den Aktionären.
Für die Konzerne ist es nie
genug. Kann es gar nicht sein. Es gibt keine Grenze nach oben. Das lässt der
systemimmanente Wachstumszwang nicht zu. Darüber müssen wir uns völlig klar
sein. Selbstverständlich kann man sich dagegen wehren. Kein Mensch muss sich
mit dieser Entwicklung abfinden. Aber weil diese Entwicklung inzwischen auf
globaler Ebene abläuft, weil sie inzwischen totalitäre Ausmaße angenommen hat,
müssen auch die Gegenmaßnahmen so radikal sein, dass es ein persönliches
Sicherheitsrisiko bedeutet, sie öffentlich oder auch nur halböffentlich zu
äußern.
Der Leidensdruck wächst.
Wir schimpfen über den Lobbyismus und suchen unverzagt nach Lösungen. Wir rufen
den Staat zu Hilfe, er soll schärfere Gesetze erlassen. Ausgerechnet den Staat,
der seine eigene Verantwortung längst an die Wirtschaft abgegeben hat und seine
politische Handlungsfähigkeit nur von Parteispenden durch Konzerne, sprich
Korruption abhängig gemacht hat. Wir gründen Verbraucherschutzverbände,
Beratungsstellen (deren Fördergelder je nach Kassenlage dann wieder gestrichen
werden), lesen Warentest-Zeitschriften. Einige versuchen, durch ihr
Einkaufsverhalten die Marktmacht der Konzerne zu beschneiden. Gut, dann tankt
man eben mal eine Woche lang nicht bei Shell. Die anderen Ölmultis freut's.
Hier und da wird wieder die
Utopie vom autarken Leben gewagt. Urban Gardening – selbst angebautes Gemüse
und Obst möglichst gen- und schadstofffrei - ist ein Trend, der aus dieser
Sehnsucht erwächst, ein anderer war lange Jahre der Traum von der
Energie-Selbstversorgung, mit den Solarzellen auf dem Hausdach.
Einen konsequenten Ausstieg aus der Abhängigkeit,
konsequente Autarkie, zumindest bei der Grundversorgung mit Energie, Wasser,
Nahrung, muss man sich aber erst einmal leisten können. Es ist möglich, und
einzelne Modellkommunen machen es vor. Es sind und bleiben jedoch Einzelfälle.
Wer genug Geld auf die Seite gepackt hat und nicht von einer Bankfinanzierung
abhängig ist, schafft das auch als Einzelperson oder mit der Familie. Die Masse
der Bevölkerung jedoch hat die finanziellen Mittel nicht, das wird, nein, das
muss im Interesse der Großkonzerne auch so bleiben. In dieser Hinsicht sind
sich die Wirtschaft und ihre Erfüllungsgehilfen völlig einig.
Das ist auch der Grund, warum es nie zu einer solidarischen
Massenbewegung gegen die Konzerne kommen kann. In Sachen der existentiellen
Grundgüter ist sich immer jeder sich selbst der Nächste. Menschen haben
grundsätzlich Schwierigkeiten, in größeren kollektiven Dimensionen zu denken
und zu handeln. Deshalb ist die Linke Theorie zumal in ihrer
internationalistischen Ausrichtung so viel anspruchsvoller und intellektuell
herausfordernder als die krude rechte Ideologie, die dem Bedürfnis an eine
räumlich überschaubare, regionale und nationale Identität, an Heimatgefühl und
Gemeinschaft entgegenkommt.
Die Regeln von nationalen,
regional begrenzten und gesetzlich regulierten Märkten, nach dem Urbild des
lokalen Wochenmarkts, wo Händler und Käufer, Angebot und Nachfrage
zusammentreffen, um einen für beide Seiten fairen und gerechten Preis
auszuhandeln, Regeln, wie sie auch heute noch in der klassischen Betriebs- und
Volkswirtschaftslehre nachgebetet werden, sind durch die Globalisierung völlig
außer Kraft gesetzt worden. Was uns damals als Befreiung, als Beginn eines
endlosen Wachstums verkauft worden ist, erweist sich heute als systematische
weltumspannende Versklavung und Entmündigung, sowohl der Konsumenten als auch
der politisch Verantwortlichen. Wenn der Absatz in einem Land schwächelt, dann
muss ein anderes Land, ein anderer Markt den Verlust ausgleichen. Großkonzerne
können im Prinzip gar nicht verlieren. Das unternehmerische Risiko ist für sie
faktisch abgeschafft. Sie zahlen Dumpinglöhne und profitieren von Leiharbeit,
sie sorgen für unternehmerfreundliche Steuergesetzgebung, um so ihre nationalen
Gewinne mit Verlusten von ausländischen Tochterfirmen kleinzurechnen, sie
betreiben Standorthopping – wenn die örtlichen Steuern und Abgaben, die
Umweltauflagen oder das Lohnniveau zu hoch geworden sind, zieht man eben
weiter, so wie es die Textilindustrie jahrelang vorgemacht hat. Von Deutschland
in den Osten, nach Polen oder ins Baltikum, von dort nach Indien, Südchina,
Thailand, Vietnam. Hemmungslos werden Steuergelder in Form von
Standortsubventionen kassiert, sogar noch am Müll wird verdient. Abgelaufene
Medikamente werden in Afrika verscherbelt, abgelaufene Lebensmittel in den
Armenhäusern und Tafeln. Ob Elektronik- und Computerschrott, radioaktiver
Abfall und chemische Gifte – die Konzerne finden Mittel und Wege, um auch noch um
die vielerorts nationalgesetzlich vorgeschriebenen Rücknahme- und
Entsorgungspflichten herumzukommen. Sie sparen ihre Forschungskosten ein, in
dem sie Patienten und Konsumenten zu ihren Versuchstieren machen. Sie
investieren nicht in technologische Innovationen, sondern kaufen stattdessen
lieber Patente auf.
Man darf sich darüber
keinen Illusionen hingeben: Das erklärte Ziel ist die totale Herrschaft über die
globale Flora und Fauna, die gesamte belebte und unbelebte Natur dieses
Planeten, von der genetischen Ausstattung der Nutzpflanzen und Tiere bis hin
zum menschlichen Erbgut, von der jeweiligen Landessprache als Grundlage des
menschlichen Denkens, bis hin zur physikalischen Welt der Farben, Formen,
Mineralien, Töne, und damit über die gesamte menschliche Zivilisation. Denn wer
oder was sollte einen Konzern daran hindern, ein Patent auf die chemische
Zusammensetzung von Wasser, auf eine
bestimmte Gensequenz oder auf einen bestimmten Buchstaben in Kombination mit
einer bestimmten Farbe anzumelden? Das Facebook-Logo - kleines f auf blauem
Grund - darf ja schon nicht mehr verwendet werden.
Der größte Feind der
Großkonzerne sind nicht etwa die Regierungen und erst recht nicht die
Schafherde der abgezockten Konsumenten, es sind die anderen Großkonzerne, die
Mitbewerber. Sie kannibalisieren sich deshalb untereinander durch sinnlose
Fusionen und feindliche Übernahmen – oft nur als Folge von
Persönlichkeitsstörungen der Konzernführer wie etwa paranoider Größenwahn.
Meist führen solche Fusionen unter dem Strich zu großen Verlusten, wie an
vielen Einzelfällen nachweisbar ist. Kartelle und verbotene Preisabsprachen
sind ebenfalls Ausdruck dieses paranoiden Macht- und Gewinnstrebens. Wenn man
den Gegner nicht besiegen kann, muss man ihn wenigstens solange in Schach
halten, bis die Zeit zur Übernahme gekommen ist. Konzerne lassen sich noch
nicht einmal für ihre selbst verursachten Verluste haftbar machen, denn auch
bei Verlusten und Firmenpleiten infolge von Fusionen und unternehmerischen
Fehlentscheidungen sorgen horrende Abfindungen für die Verursacher und Versager
dafür, dass auch der letzte Rest von unternehmerischen und persönlichen
Verantwortungsbewusstsein systematisch ausgeschaltet wird. Strafrechtliche
Konsequenzen, etwa wenn eine Schmiergeldaffäre auffliegt oder Schadensersatzforderungen
von Konsumenten geltend gemacht werden, haben die Konzerne von vornherein
eingepreist und zahlen sie aus der Portokasse. Und für alle Verluste durch
Eigenverschulden der Konzernlenker kommen nicht etwa die Konzerneigentümer, die
Aktionäre auf, sondern grundsätzlich wir, die Konsumenten und Steuerzahler.
Das Ende des Weges wird
erst mit dem totalen Monopol erreicht, wenn der letzte Mitbewerber
ausgeschaltet und geschluckt ist. Konzerne sind globale Parasiten, aber im
Gegensatz zu ihren Verwandten, den Zecken und anderen Blutsaugern und haben sie bis heute nicht begriffen, dass
sie von ihrem Wirt abhängig sind - und nicht umgekehrt.
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