Ich habe erlebt, wie einem langjährigen Computernutzer, nachdem er aus Versehen ein wichtiges Papierdokument geschreddert hat, ein rettendes Bild im Kopf aufstieg: der blaue Windows Rückgängig-Pfeil.
Man hat festgestellt,
dass die Handschrift – ein ganz individuelles Persönlichkeitsmerkmal – durch
langjährige Tastaturnutzung degeneriert, dass der Schreibstil sich ändert. Der
Prozess des Formulierens von Texten verändert sich, die Texte selber werden
einfacher, zusammenhangloser, parataktischer *. Das hängt zum großen Teil mit der
weit verbreiteten Methode des Copy & Paste zusammen. Und wenn man sich den
seit den fünfziger Jahren in der neueren Sprachphilosophie und -wissenschaft
unbestrittenen Zusammenhang zwischen Sprache und Denken klar macht - kurz und
knapp gesagt: die Sprache formt den Gedanken, es gibt nicht so etwas wie im
Gehirn gebrauchsfertig abgespeicherte Gedanken, die man nur noch abrufen und
mittels Tastatur auf den Bildschirm zu transportieren braucht -, dann muss man
auch Rückschlüsse auf das gedankliche und stilistische Niveau solcher
Bildschirmtexte zulassen.
Die körperlichen
Auswirkungen dauerhafter Computerarbeit auf Augen und Rücken sind schon lange
bekannt und gefürchtet, die psychosozialen weniger. Ab und zu ein Amoklauf,
nach dem dann wieder über den Einfluss von Computerspielen spekuliert wird. Hin
und wieder ein Bericht über zunehmende narzisstische Persönlichkeitsstörungen.
Geltungsbedürfnis und Größenwahn werden durch das sofortige enorme Echo auf das
Posten von private Belanglosigkeiten, durch die virtuelle Ersatzbefriedigung
und Schein-Zuwendung von Hunderten von Facebook-Freunden wenn nicht verursacht,
dann doch zumindest verstärkt. Es wird wohl
noch einige Jahre dauern, bis die gesellschaftlichen Folgen in vollem Umfang zu
Tage treten.
( Geschrieben 2006)
* Mangels anderen verfügbaren Dokumentationsmaterials habe ich - zum Vergleich mit den aktuelleren Texten auf diesem Blog - hier einen über 20 Jahre alten Text (handschriftlich zu
Papier gebracht, Endfassung auf dem Mac erarbeitet) eingestellt, der diese These zu verdeutlichen vermag.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen