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Montag, 16. September 2013

Hatespeech


"The two biggest self-deceptions of all are that life has a 'meaning' and each of us is unique".
David Byrne, britischer Musiker, 2011



Blume. Pastell
Das Internet ist ein Verstärker, im Guten, aber leider mehr noch im Schlechten. Denn leider fallen die strukturellen Merkmale "sozialer" Netzwerke, nämlich als Humus, als Nährboden für asoziales Verhalten, für Vereinzelung, für die Verstärkung des Tunnelblicks, des Blinden Flecks, für Intoleranz und Schubladendenken stärker ins Gewicht, weil die Folgen für die Allgemeinheit, für alle User, für alle Menschen, sowohl online als auch offline spürbar unangenehmer sind: Stalking, feiges Denunziantentum, Voyeurismus, hemmungsloser Ego-Exhibitionismus, Rufmord, Betrug durch gefakte Profile, gefakte Rezensionen und Produktbewertungen, Internet-Pranger und Cyber-Mobbing, politische Propaganda durch Spin-Doktoren.

Soziale Verhaltensweisen werden einem im Web regelrecht abtrainiert, abgewöhnt. Das Netz ist mittlerweile komplett verseucht, der Freundschaftsbegriff auf Facebook vollkommen pervertiert. "Freunde" sind hier schlicht und ergreifend Marktkontakte, menschliche Kontakte sind eine Ware.

Schauen wir uns doch mal die SPIEGEL online-Beiträge an, die in den sozialen Netzwerken besonders beliebt waren, besonders häufig "empfohlen" wurden: 
"Sehr beliebt in den sozialen Netzwerken war zum Beispiel ein Text aus dem Juni über einen Mann, der einen Hubschrauber aus einer toten Katze gebaut hatte. Der Artikel wurde 417-mal getwittert, kommt aber auf sage und schreibe 37.000 Facebook-Empfehlungen; dagegen stehen jedoch nur 106 Postings auf Google+. (...) Übrigens sind es eher die bunten Nachrichten, die Rekorde in den sozialen Netzwerken aufstellen: Besonders oft erwähnt wurde zum Beispiel ein Text über eine sächsische Touristin, die versehentlich eine Reise nach Bordeaux statt nach Porto gebucht hat, oder ein Bericht über eine Rentnerin in Spanien, die ein Jesus-Fresko dilettantisch restaurierte und damit berühmt wurde."
Muss man noch mehr zu dem Niveau der sozialen Netzwerke, speziell zu Facebook-Usern sagen? Die genannten Beispiele sind selbst entlarvend, sie dokumentieren die Geschmacklosigkeit, den Sadismus und Voyeurismus, die Häme und nicht zuletzt die ungehemmte Frauenverachtung der Facebooker und Twitterer.


Die Anonymität im Netz spielt dem Neoliberalismus in die Hände. Sie führt zu enthemmter Bösartigkeit, zum Machtrausch ohne Regeln, ohne Strafe, ohne Risiko - mit Todesfolge: Selbstmord infolge von Cybermobbing. Inzwischen soll in Deutschland jeder dritte Jugendliche Erfahrungen mit Cybermobbing haben. Auf Facebook gibt es Mordaufrufe. Niemand schreitet ein. Webforen und Social Media sind mittlerweile eine monströse Hass-Dreckschleuder, ein Biotop, in dem sich Paranoide anonym austoben können. Das Ausmaß des Hasses spiegelt das real vorhandene Ausmaß des Hasses, der Frustration, der Wut, der Ohnmachtsgefühle in der Gesellschaft. Die zunehmende Destruktivität und Verrohung im Web ist Ausdruck der zunehmend narzisstischen und soziopathischen Gesellschaft.

Fratzenbuch


Facebook frustriert seine Nutzer: Es fungiert zunehmend als Eintrittstor in eine Neidspirale. Immer gibt es irgendwo irgendwelche, die viel cooler sind als man selbst. Dem Urteil von SPIEGEL-Kolumnist Georg Dietz ist nichts hinzuzufügen:
"In einer Zeit, in der wir nichts mehr brauchen als Welt, Welt, Welt, als Erklärungen, Analysen, Zusammenhänge, ist Facebook ein Schallschutzraum geworden für ferngesteuerte Affen."
Die Nutzung von Facebook hat selbstverständlich, wie sollte es auch anders sein, eine Wirkung auf die Hirnaktivität. Sie macht kindisch: Sie steigert das Verlangen nach ständigen Feedbacks, ähnlich wie bei Kleinkindern. Das eigene Leben wird nach seiner potentiellen Attraktivität für Facebook-Postings abgescannt und danach ausgerichtet.

Ähnlich lautet das Urteil der ZEIT-Journalistin Nina Pauer:
"»Guck mal, Mama!« steckt in jedem der Ein-Wort-Posts, es ist der ewige Imperativ des Kleinkindes, das jede Tagesaktivität zum feierbaren Event erhebt, das liebevoll nickend und lobend wahrgenommen werden soll."
Hier werden mal wieder Binsenweisheiten als wissenschaftliche Erkenntnis verkauft, aber nun gut, dann wissen wir das jetzt: Facebook verlängert den Trennungsschmerz bei Partnerschaften und fördert Stalking.

Confirmation bias


Das "Mitmach"-Web 2.0 offenbart die Janusköpfigkeit der heutigen Kultur. Einerseits spiegelt es grenzenloser Freiheit und Individualität vor - Ich bin einmalig, ich darf alles sagen, die ganze Welt hört mir zu, jedes Posting ist ein Manifest, das die Welt in ihren Grundfesten erschüttert -, was narzisstische Grandiositätsgefühle befriedigt. Andererseits fördert es abgeschottete totalitäre geistige Monokulturen, die eine einheitliche Meinungs- und Deutungshoheit vortäuschen, die es in der Realität gar nicht gibt, fördert somit zunehmend die Segregation und Zersplitterung der Gesellschaft in disparate Interessengruppen. Es nutzt den tiefsitzenden Herdentrieb gnadenlos aus. Jeder will der Selbsterhöhung willen zu den Mächtigen gehören. Der Arbeitslose wählt die FDP. Man schaue sich nur die neuesten zahllosen Graswurzel-Initiativen zu einer "humaneren Wirtschaft" an. Der zugrunde liegende Impetus ist nachvollziehbar, allein es fehlt der Wille und Antrieb, das profilierungssüchtige Ego zurückzustellen. Tausende und zitausende Blogs, Aufrufe, Manifeste zur Weltverbesserung, die meisten mit null bis einstelligen Kommentaren. Alles völlig sinnlos. Es geht heute im Web einfach nur darum, seinen Frust herauszuschreien, aber mit anderen zusammen arbeiten, dafür notgedrungen auch sein Ego zurückstellen und Kompromisse eingehen will man dann doch nicht. Und eine reale Entfernung von mehreren 1000 km ist auch nicht ohne Sprachbarrieren zu überbücken. Webforen und Blogs kultivieren blinde Flecke:
"He noted that while the internet was efficient in bringing together virtual communities of interest, it also encouraged participants "to isolate themselves from competing views... [creating a] breeding ground for polarisation, potentially dangerous for both democracy and social peace. (...) In other words, virtual communities, unlike physical communities that are under constant pressure to compromise, are at risk of a tendency to organise around confirmatory bias. A tendency that, as neuroscientific research by Daniel Kahneman and others has argued, makes us confuse emotion for rational thought." (Peter Beaumont, "How do we escape the hysteria that threatens to erode public debate?", The Observer, 26. August 2012)
Im Netz werden mentale Schutzräume, Parallelwelten aufgebaut. Man kann sich im Virtuellen so wunderbar gegenseitig aus dem Weg gehen. Der in der nicht-virtuellen Welt noch vorhandene Zwang, sich bei Konflikten mit anderen Positionen auseinanderzusetzen, entfällt völlig. Noch sind es gesellschaftliche Randgruppen, Extremisten in fast jeder Hinsicht, die das Netz als Lautsprecher ihrer Befindlichkeiten missbrauchen, ihre narzisstische Wut austoben und ihre unreflektierten Ergüsse unisono mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit gerechtfertigt sehen, aber sie entfalten eine schleichend kontaminierende Wirkung auf den öffentlichen Diskurs und somit eine Bedeutung, die ihnen zu anderen Zeiten ohne oder außerhalb des Internet nie zukommen würde.

Das Netz vergisst nichts: Bewertungssysteme, beispielsweise ein Mietservice von privaten Wohnungen geben den - möglicherweise auch zu Unrecht - schlecht Bewerteten keine Chance, Fehler wieder gut zu machen. Es kann daher auch keinen messbaren Lerneffekt geben. Es gibt keine Chance auf Rehabilitation. Die Folgen sind Ausgrenzung und lebenslängliche Stigmatisierung. Das sind die Kehrseiten. Darüber spricht niemand, denn die Betroffenen sind ja nicht mehr Teil der "community".


Destruktivität 


Kathrin Passig hat eine exzellente Analyse der Forenkultur veröffentlicht: "Sümpfe und Salons".
"Mir ist kein Ort im deutschsprachigen Internet bekannt, an dem eine konstruktive Kommentarkultur herrscht, und auch befragte Freunde zuckten nur die Schultern. Am "Netz als Feind" liegt es nicht, denn im englischsprachigen Bereich gibt es Orte, an denen die Kommentare lesenswerter sind als der kommentierte Beitrag."
Konstruktive Forenkultur - in Deutschland Fehlanzeige also. Das lässt Rückschlüsse auf einen bestimmten Nationalcharakter zu. Würde man in einer vergleichenden qualitativen sprachkritischen und psychologischen Studie einmal all diese deutschen Forenkommentare der letzten 6-7 Jahre – vor Ausbruch der Finanzkrise und danach - untersuchen, würde es dem einen oder anderen wie Schuppen von den Augen fallen. Die Sprache verrät alles. Dadurch würde man auch den nötigen Abstand erhalten zur Gegenwart. Denn die Gegenwart kann nur halbwegs objektiv bewertet werden, wenn man die nötige kritische Distanz zu ihr hat. Und die erhält man nur durch den Blick in die Vergangenheit, durch nichts anderes.

Unterschiedliche Persönlichkeitstypen und Sozialcharaktere sind zunächst einmal kein Problem, sondern sinnvoll. Der eine bringt etwas mit, was der andere aufgrund seiner Disposition nicht mitbringen kann, eine gegenseitige Ergänzung zum Gewinn und Wohl des Großen Ganzen. Das funktioniert aber nur solange, wie die Ressourcen, insbesondere die Arbeitsplätze für alle ausreichen. Problematisch wird es, wenn das natürliche Gleichgewicht kippt, wenn eine Verabsolutierung, eine Setzung zur allgemeinen, gewünschten Norm von Persönlichkeitsmerkmalen stattfindet, eine qualitative Wertung, die gleichzeitig immer auch eine Abgrenzung und Abwertung (des anderen) beinhaltet, wenn bestimmte Persönlichkeitstypen als "minderwertiger" oder nicht systemrelevant diffamiert werden, weil und nur weil sie aufgrund genetischer und sozialpsychologischer Bedingungen in quantitativer Hinsicht in der Minderheit sind. Und genau dieses Phänomen ist in den Industriegesellschaften seit Jahrzehnten zu beobachten. Das Unheil liegt darin, dass sich nun Kämpfe um die Deutungshoheit in einer Gesellschaft entwickeln, dass der Anpassungs- und Normierungsdruck von der unterdrückten Seite zurückgegeben, reflektiert wird, die ihrerseits nun aus der Position des Diffamierten zurückschlägt. Diese Eigendynamik, dieses sich Gegenseitig aufschaukeln, das sich Aufreiben an Gegensätzen und Unterschieden anstelle der Suche nach einem Kompromiss oder auch nur einer stringenten Argumentation lässt sich täglich in den Kommentaren der Online-Foren im Detail beobachten.

In den Foren kotzt sich die Volksseele aus. Die Foristen sind vorwiegend Männer aller Altersgruppen, ausgenommen die ganz Alten. Nicht vertreten sind die ganz oben und die ganz unten, aus verschiedenen Gründen. Viele Arbeitslose,viele Ostdeutsche. Viele Radikale. Das niedrigschwellige Angebot bei ZEIT online ohne Vorzensur lockt Schwärme von Manipulatoren an, z.B. die Maskulinisten (Frauenhasser). Mit Mehrfach-Nicks wird eine Masse an Kommentatoren, eine Meinungsführerschaft vorgetäuscht, die es real so nicht gibt. Nach derselben Taktik posten Rechtsradikale. Auch und besonders im Mikrokosmos der öffentlichen Meinungsforen lässt sich das Gesetz der Kritischen Masse beobachten.

Während Redakteure zig verschiedene Sachen gleichzeitig zu tun haben und unter extremen Zeitdruck stehen, macht es sich der Forist zuhause gemütlich, sitzt morgens ausgeruht mit einer Tasse Kaffee vor dem Bildschirm und wartet gespannt auf den ersten Artikel, den er dann  - hoffentlich als erster! das gibt noch mal den Extra-Kick - genüsslich in der Luft zerreißt. Man kann sich vorstellen, dass das Kommentieren für einige die einzige intellektuelle Herausforderung des Tages ist. Kriecherisch hängt sich Diederich Heßling gern an die Forums-Platzhirsche an - die gibt es fast überall, das sind die Intensiv-User -, oder auch an die mit den Adelstiteln, den Dr. im Nick, den demonstrativ zur Schau gestellten Lateinkenntnissen. Gegen Abend werden die Kommentare merklich aggressiver und pöbelnder. Dumpfbacken melden sich immer nur zu den Themen zu Wort, bei denen kein Sachverstand nötig ist, zu denen jeder eine Meinung haben und sie ungefiltert in die Welt hinausblasen kann. Genderthemen laden zu hemmungslosem Frauenbashing ein. Zu Kindererziehung kann jeder was sagen, man war ja selber mal Kind. Migrations- und Islamthemen erreichen meist dreistellige Beitragszahlen. Und jeder Artikel zum Klimawandel wird heftig als CO2-Schwindel attackiert.

Das war nicht das, was ich mir unter der Sichtbarkeit der Verlierer der Geschichte vorgestellt hatte. Was einem hier entgegen schwappt, ist Abschaum. Wer einen Blick in die Abgründe menschlicher Niedertracht werfen will, sollte diese Kommentare lesen. Oder diese hier, in denen Häme und Schadenfreude über ein Mitglied von Pussy Riot im russischen Gefangenenstraflager ausgeschüttet wird.

Es stimmt, die Deutschen werden immer dümmer.

Zum Peinlichsten, was ich je online gelesen habe, gehörten die User-Kommentare zu Habermas' Geburtstag und ganz besonders die zum Tod von Ralf Dahrendorf. Ein Armutszeugnis für diese Plattform. Zu den Nachrufen auf Reich-Ranicki hat ZEIT online die Kommentarfunktion bei den meisten Threads zum Thema vorsorglich deaktiviert, ebenso SPIEGEL online. Hier leider nicht:

Digital natives


Für die "digital natives" ist das Internet Selbstzweck. Es wird als unverzichtbarer Bestandteil des Lebens hingenommen, allenfalls in Teilaspekten kritisch betrachtet. Es ist immer viel leichter, Spielfiguren eines Online-Games durch die Gegend zu schicken, als sich beispielsweise mit echten Menschen, ihren diversen Macken, Ansprüchen und Forderungen auseinander zu setzen. Die Internet-Späteinsteiger haben eher einen pragmatischen ergebnisorientierten Ansatz: Ich will, dass das Internet etwas für mich erledigt. Ich trete mit einer bestimmten Aufgabenstellung an das Medium heran. Ich suche z.B. gezielt nach Informationen im Netz, die es mir ermöglichen, ein Problem oder eine Aufgabe zu erfüllen. Wenn das Netz mir nicht weiterhelfen kann, suche ich mir einen anderen Lösungsweg.

Was sagt uns das folgende Studienergebnis? Dass die meisten U30 User nicht logisch denken können und unter massiver Selbstüberschätzung leiden:
"Dass viele das Prinzip der Personalisierung von Suchergebnissen nicht verstehen, belegen auch ihre widersprüchlichen Angaben: Sie lehnen die Speicherung ihrer Daten explizit ab, finden es aber gleichzeitig begrüßenswert, das die Suchergebnisse auf sie zugeschnitten werden. Dabei kann Letzteres ohne die Datenspeicherung kaum funktionieren. (...) "Die Studienergebnisse belegen ein mangelndes Problembewusstsein und einen weitgehend unkritischen Umgang mit Google, insbesondere bei Nutzern unter 30 Jahren", teilt die Universität Mainz mit." (ZEIT online: "Studie: Nutzer wissen wenig über Google", 16.08.2013)
In ihren Beiträgen verraten die Intensivnutzer viel mehr über sich und ihre Persönlichkeit und ihr Leben, als ihnen bewusst ist bzw. lieb sein kann. Und für einige spielt es eben offenbar überhaupt keine Rolle, ob sie sich in öffentlichen Foren ständig daneben benehmen. Man muss sich mal klar machen, was das über deren Lebenswirklichkeit aussagt. An später denkt da offenbar keiner. Abgesehen davon: User, die an einem schönen Feiertag den ganzen Tag vor dem Laptop sitzen und posten, müssen wirklich einen an der Waffel haben.

Die digital sozialisierten User lassen sich oftmals an der Sprache bzw. am pöbelhaften Duktus erkennen. Die Betreffenden würden das selber allerdings nie bemerken, selbst dann nicht, wenn man ihnen im direkten Vergleich ihre Entgleisungen neben sauber formulierten und ausgewogenen Beiträgen hielte. Man kann jemandem, der es von Kind auf gewohnt ist, seine Befindlichkeiten mit Klicks und Bewertungspunkten zu äußern, sehr schwer klar machen, was ein Argument überhaupt ist.

Der italienische Autor Roberto Saviano macht darauf aufmerksam, dass die destruktive Sprache in den "social media" das Denken und Fühlen negativ affiziert.
"Es ist ein kurioses Phänomen, dass zahlreiche Twitterer ihre Follower nicht mehr auf das aufmerksam machen, was sie interessant, sondern auf das, was sie verächtlich finden, und das mit möglichst hämischen Tweets. (...) Seriosität ist öde, Reflektiertheit überholt. Es lebe die Beleidigung. Wer jemanden auf Facebook diffamiert, würde es von Angesicht zu Angesicht nicht fertigbringen, einen Vorwurf zu machen, der sich aus Gemeinplätzen und Lügenmärchen speist. (...) Die Linguisten Edward Sapir und Benjamin Whorf haben eine Theorie der sprachlichen Relativität aufgestellt, der zufolge sich die Art, sich auszudrücken, in der Denkweise niederschlägt. Die Welt, in der ich lebe, wird sich meiner Ausdrucksweise angleichen. Wenn ich mich auf hundert Wörter beschränke, wird meine Welt auf diese hundert Wörter schrumpfen. Wir sind, was wir sagen. Und so machen üble Nachrede, Diffamierung und verbale Gewalt unsere Gesellschaft schlechter. Und brutaler. Die galligen Kommentare der Facebook- und Twitter-User vergällen die Leben derer, die sie schreiben und lesen."
Hier ein paar ausgewählte Kommentare von Foristen, die das Problem erkannt haben:
#8 

Data Mining


Wirtschaft und Politik interessieren sich brennend für das, was die User denken. Aus verschiedenen Gründen. Inzwischen gibt es Agenturen, die sich auf die  Erstellung und Analyse eines Stimmungsbildes spezialisiert haben. TrendMining und Sentiment Analyse heißen die Zauberworte. Heutzutage kann man sogar Shitstorm-Pakete kaufen. Das wäre dann der vorläufige Höhepunkt der Perversion, ein virtueller Pranger. Schlimmer als im Mittelalter, weil völlig anonym.
"Eigentlich handelt es sich beim Shitstorm um eine Steinigungs- und Verwünschungskultur. Der Shitstorm-Angehörige reist zwar mit einer Hetzmeute, er bleibt dabei aber völlig allein und im Trockenen: Er steinigt aus einer Loge heraus. Bequemer ist Genugtuung nicht zu haben. (...) Verhaltensforscher sagen, dass Menschen, die gehässige, anzügliche Kommentare ins Netz stellen, dabei eine verstohlene Befriedigung verspüren – als berührten sie einen anderen Menschen, ohne dass der sich wehren kann. Der Shitstorm erfüllt also für jene, die ihm zugehören, eine erotische Funktion: Er ist ein Quell der Stimulation; er gewährt Intimität mit einem ausgelieferten Fremden. (...) Im Shitstorm findet der Mensch seine Höhle. Er ist die Erfüllung des Wunsches nach Unsichtbarkeit in jenem Moment, da die eigene Gemeinheit am größten ist. "
Buchrezensionen sind von der PR- und Contentindustrie inzwischen verseucht, die fakes erkennt man sofort an der Sprache, man nehme nur einmal das Beispiel "e-mail macht dumm, krank und arm", von Anitra Eggler. Klout-Scores und Lobe-Kartelle, gegenseitiges Pushen lassen sich überall beobachten, bei XING, Amazon, in privaten und kommerziellen Blogs, bei den Facebook Empfehlungen. Die Funktionsweise entspricht den Zitierkartellen - Zitierst du mich, dann zitiere ich dich - in der Wissenschaft.

Der Kloud-Score als Bewerberkriterium führt faktisch zu einer 2-Klassen-Arbeitsgesellschaft, er bedeutet nichts anderes als die Abschaffung realer Qualifikationen. Das Selbstmarketing wird hier auf die Spitze getrieben. Im Grunde sind solche Geschäftsmodelle Verzweiflungstaten einer durch und durch parasitären und überflüssigen Zombie-Branche. Das Geschäftsmodell basiert einzig und allein auf Betrug, Vortäuschung, Korruption. Die irrwitzige Konsequenz dieser Geschäftsidee: Justin Bieber for president.

1 Kommentar:

  1. Diesem Artikel gibt es nichts, aber auch überhaupt nichts hinzuzufügen, denn er bestätigt in vielen Aspekten meine eigene Einschätzung der Sozialen Medien und ihrer Gefahren, und hat mir darüber hinaus auch zu denken gegeben – insbesondere was die Möglichkeiten der Einflussnahme auf die genannten Auswüchse oder die Gegenwehr auf den zunehmenden medialen Missbrauch anbelangt.

    Zumindest ich für meinen Teil, sah die Sapir-Whorf-Hypothese anhand eigener Erfahrungen noch nie besser begründet, als durch die Sozialen Medien, von denen ich mich die längste Zeit meines Lebens immer fern gehalten hatte.

    Das Eintauchen in Facebook oder (mehr noch) Twitter, bedeutet für mich psychischen und physischen Stress. Überspitzt gesagt, kommt der Aufenthalt in diesen Räumen für mich einem informativen Waterboarding gleich. Informationsfetzen und Bilder strömen pausenlos auf mich ein, und rufen aufgrund des nicht enden wollenden Input-Nachschubs in meinem Kopf das Gefühl des Ertrinkens hervor. Sicher steuere ich den Informationsfluss streng genommen selbst. Aber aufgrund der unkategorisierten, zusammenhangslosen und unabgeschlossenen Form der Informationseinheiten und des niemals enden wollenden Nachschubs, ist es fast unmöglich den Schlauch rechtzeitig "abzusetzen".

    Dass meine Denkfähigkeit und mein gewohntes Ausdrucksvermögen in diesen Räumen eingeschränkt sind, erkannte ich während ich mich in den Räumen aufhielt nur an dem Gefühl unter Stress zu stehen und des Sprechens beraubt zu sein. Ich habe das anfangs auf meine Unbeholfenheit im Umgang mit diesen Medien zurückgeführt und als normal hingenommen. Doch dann erkannte ich, dass jede auch noch so kurze Abstinenz meine Denkfähigkeit regelrecht aufatmen und die gewonnenen Informationen anders gewichten und einordnen ließ. Kurz: Ich war wieder in der Lage in der gewohnten Form zu denken und abzuwägen.

    Aus verschiedenen Gründen bereue ich die in diesen Räumen gewonnenen Eindrücke und Erfahrungen nicht. Allerdings habe ich für mich einfach auch erkannt, dass ein dauerhafter Umgang mit diesen Medien nicht ohne schädigende Konsequenzen bleiben wird.

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