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Dienstag, 3. September 2013

Rien ne va plus



"Much of what has gone on can only be described by the words"moral deprivation."
Joseph Stieglitz, The Price of Inequality, W. W. Norton & Company, 2012, p. XVII



Spinnenhund
Hätte mir jemand vor 30 Jahren prophezeit, dass ich mich eines Tages einmal - freiwillig ! - mit dem Banken- und Finanzsystem befassen würde, ich hätte ihn für verrückt gehalten. Ich interessiere mich für Kunst, Literatur, Musik, Wissenschaft, aber doch nicht für den schnöden Mammon. Im Herbst 2008 nach der Lehman-Pleite ist es allerdings tatsächlich so gekommen (was ich immer noch als absolute Zumutung empfinde). Seitdem lässt sich mein Gemütszustand am besten mit dem Begriff Fassungslosigkeit beschreiben. Viel ist über das Thema mittlerweile geschrieben und gesendet worden, aber die Texte, die mir am ehesten Klarheit  verschafft haben, sind die 9 Thesen zum Geld von Margrit Kennedy:


  • Das Geld soll dem Menschen dienen - nicht der Mensch dem Geld.
  • Geld arbeitet nicht. Arbeiten können nur Menschen und Maschinen.
  • Geld wird verzinst und die Zinsen werden wieder verzinst. Der Zinseszins-Effekt lässt die Geldvermögen exponentiell wachsen. Deshalb muss unser Finanzsystem irgendwann zusammenbrechen.
  • An den Zinsen verdienen nur 10% der Bevölkerung. 90% der Menschen verlieren über die Zinsen, die in allen Preisen und Steuern enthalten sind.
  • Diese Umverteilung zugunsten einer kleinen Minderheit beträgt allein in Deutschland ca. 600 Millionen Euro pro Tag.
  • Die automatische Geldvermehrung bei den Vermögenden ist auf Dauer nicht mit Demokratie vereinbar. »Alle Macht geht vom Volk aus« verwandelt sich de facto zu einem »Alle Macht geht vom Geld aus« denn die Realwirtschaft wird von der Finanzwirtschaft abhängig und erpressbar.
  • Die Geldvermögen koppeln sich mehr und mehr von der Realwirtschaft ab und verursachen irgendwann den Zusammenbruch des Systems.
  • Fazit: Wir haben nicht ein vorübergehendes Finanzproblem sondern ein systemisches Problem.
  • Doch es geht auch anders: mit mehr Geldvielfalt zum Beispiel mit Zeitbanken, die auf der Verrechnung von Arbeitsstunden basieren, Regionalwährungen, die regionale Wirtschaftskreisläufe fördern und komplementären Währungen, die den Euro ergänzen und die in erster Linie sozialen, wirtschaftlichen oder ökologischen Zwecken dienen.
Dazu die großartigen TV-Dokumentationen:
Der große Reibach” und "Der Tanz der Geier", ARTE / YLE Frankreich, Finnland, 2012.
Erstausstrahlungstermin: Di, 2. Okt 2012, 20:17 und 21.25 Uhr.
Die entsprechende dpa-Meldung:
"Der Schock saß tief im Spätsommer 2008: Als die große Immobilienblase platzte, ächzte die ganze Welt. Die Folgen trafen vor allem Kleinanleger. Die großen Banken gingen weitgehend unbeschädigt aus der Krise hervor, denn öffentliche Gelder verhinderten ihre Pleiten.Was den Kreislauf des Geldes damals außer Tritt brachte, schildert Arte bei seinem Themenabend „Banken, Banker, Bankster“ an diesem Dienstag mit zwei Filmbeiträgen. Wie „Der große Reibach“ (20.15 Uhr, Autoren: Jean-Michel Meurice und Fabrizio Calvi) funktioniert, erklärt der Banker Jean Peyrelevade. Der Rohstoff der Banken sei „la dette“, wie der Franzose sagt, die Verschuldung. „Das System imitiert Schulden, lässt Schulden umlaufen, platziert und verhandelt Schulden“. Der Hebel sei ganz einfach: Um so mehr ich mir leihe, desto mehr bekomme ich zurück. Wenn doch alles so einfach wäre – denn es gibt genug schwarze Schafe.
Es war nicht das erste Mal, dass die Weltwirtschaft ächzte. Der große Schock vom 29. Oktober 1929 sitzt noch tief im kollektiven Gedächtnis, als die Wall Street auf einen Schlag 40 Prozent ihres Wertes verlor, deutlich mehr als das jährliche Bruttosozialprodukt der USA. Damals arbeiteten die Banken schon mit einem simplen Trick: Sie kauften von ihnen selbst herausgegebene Aktien, um den Wert zu steigern. Rückblick: Die neoliberale Revolution setzte schon 1979 mit der Regierungsübernahme Margaret Thatchers in Großbritannien und Ronald Reagans in den USA 1981 ein. Die Politik nahm zunehmend ihren regulierenden Einfluss auf die Wirtschaft und die Finanzwelt zurück und setzte auf das freie Spiels der Kräfte. Aber es ist wie mit Katzen und kleinen Kindern: Wenn Herrchen oder Papa nicht aufpasst, treiben die Kleinen, was sie wollen, nur nicht, was sie sollten. Die Folgen schildert der zweite Arte-Beitrag zum Thema Banken um 21.25 Uhr, „Der Tanz der Geier“. Der Neo-Liberalismus hat die Banken immer mächtiger werden lassen. Der Profit und nicht die sozialen Errungenschaften dominieren die Gesellschaft. Geschäftsbanken, Hedgefonds und Versicherungen spielen mit Risiken und Vertrauen, mit wahren und falschen Werten. „Derivate werden immer komplexer, Kommissionen steigen ins Unermessliche, und Geldmengen bewegen sich immer schneller um die ganze Welt“, beschreibt Arte das Spielchen mit dem Geld.Und die ausführenden Organe sind immer noch dieselben wie vor dem Crash 2008: In den USA sind viele Bankinstitute, die die Krise beschleunigt haben, immer noch am Drücker. Viele Mitarbeiter haben noch dieselben Positionen. Auch in Europa ist das Bild nicht anders. Eine Änderung ist nicht in Sicht."
"Goldman Sachs - Eine Bank lenkt die Welt"
Erstausstrahlungstermin: Di, 4. September 2012, 20:15
ARTE F, Dienstag 24. September 2013, 20.15 Uhr 
(Frankreich, 2012, 72 min)
Gibt's auch als Live-Stream in der ZDF-Mediathek.

ARD, 12.03.2012, 23:15 Uhr
Dokumentation von Tilman Achtnich und Hanspeter Michel
und auf 3Sat, 08.07.2012, 20.15 Uhr

Wir befinden uns spätestens seit Ende der 70er Jahre in einer kapitalistischen Überproduktionskrise. Dass sich diese Tatsache immer noch nicht in der Normalbevölkerung herumgesprochen hat, also bei denjenigen Menschen, die unter den konkreten Folgen dieser Krise am meisten zu leiden haben, u.a. mit Arbeits- und Konsumdruck, Reallohnverlusten, ist dem Beharrungsvermögen, der guten Vernetzung, dem Lobbyismus und der ausgeklügelten (INSM)- Propaganda der herrschenden Klasse zu verdanken.

Schulden wachsen mit den Geldvermögen. Dieser Sachverhalt ist offenbar ein Tabu, darf in den öffentlich-rechtlichen Medien nicht offen ausgesprochen werden. Und das Wort "Enteignung" ist schlicht Teufelswerk, da wird ein im Studio geladener Experte" dann einfach panisch abgewürgt.

Staaten sind pleite, weil sie den Unternehmen und Konzernen die Steuern schenken. Sind verschuldet bei den Banken. Das Geld, das mit Finanzdienstleistungen, mit Hypotheken, Konsumentenkredit- und Aktienblasen verdient wird, fließt seit Jahrzehnten nicht mehr in reale Sachwerte, in Arbeitsplätze und Zukunftsinvestition wie Bildung zurück, sondern wird dem Wirtschaftskreislauf entzogen. Die Zivilisation blutet aus. Erst langsam und unmerklich für die Dumpfbacken, aber sicher, und in ihrer Endphase immer schneller. So, als ob ein gnädiger Gott ein Einsehen hat: lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, weil er die Geduld verloren hat, weil alle Chancen vertan worden sind. Man ist versucht zu sagen: der ESM und die globale Finanzindustrie sind der Versuch, die fortgeschritteneren Länder, dort, wo noch was zu holen ist, zurückzubomben. Weil es heutzutage zu riskant geworden ist,  Kriege mit Waffen zu führen. Und weil man immer noch nicht räumlich und zeitlich begrenzte Naturkatastrophen induzieren kann. Der Effekt ist derselbe. Alles zurück auf Null, und das spiel mit gezinkten Karten kann von vorn los gehen.

Die Grundprinzipien des Marktfetischismus, die heiligen ökonomischen Marktgesetze sind in Wahrheit komplett ausgehebelt worden, und zwar genau dort, wo sie dem Profit schaden könnten, wo sie ein auch nur minimales Risiko darstellen könnten. Dass die Höhe der zu erwartenden Rendite auch immer die Höhe des Risikos darstellt, diese Wahrheit gilt heute nicht mehr. Das unternehmerische Risiko ist vollständig auf die immer weiter verarmende Bevölkerung abgewälzt worden.

Banken verdienen nur an den Zinsen. Die Kreditsumme selber, das Geld, das verliehen wird, erzeugen sie selber aus dem Nichts (Fiat-Money). Es kostet die Bank nichts. Mit den Sparanlagen der Kunden, also dem Geld, das die Kunden den Banken leihen, und für das Banken Guthabenzinsen zahlen, die mittlerweile unter der Inflationsrate liegen (finanzielle Repression), so dass faktisch die Sparer auch noch reale Verluste leiden, fahren sie Spekulationsgewinne ein – oder Verluste, die sie sich dann noch vom bereits verschuldeten Staat ausgleichen lassen. Deshalb müssen so viele Menschen wie möglich (die ja sowieso nur noch als Konsumenten eine Daseinsberechtigung haben) und Volkswirtschaften in Schulden getrieben werden, in die Schuldknechtschaft. Großschuldner werden hofiert, Kleinschuldner (Privatschuldner, Mittelständler) nach Strich und Faden fertig gemacht.

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