Grundsatzfragen wie die nach einer möglichen
Gesellschaftsform hängen nicht irgendwo im luftleeren Raum herum. Sie reagieren
vielmehr auf eine kurzatmige innenpolitische Diskussion um die mittelbaren
Auswirkungen bestimmter globaler Konflikte.
Bei der Frage, was mit den im Umfeld dieser tagespolitischen
Themen gängigen Schlagwörtern wie „multikulturell“ gemeint sein könnte, sollte
man sich zunächst zweckmäßigerweise an deren feuilletonistischen Gebrauch
halten. Begriffsdefinitorische Setzungen bleiben einem dadurch erspart.
Das utopische Fernziel, das den Befürwortern einer „multikulturellen Gesellschaft“ offenbar vor Augen steht, ist ein gleichberechtigtes Nebeneinander von differenten, möglicherweise auch antagonistischen Lebensweisen, die sich u.a. bestimmten ethnischen Eigenheiten verdanken. Mit diesem Konzept soll das Denken in nationalen Zugehörigkeiten verabschiedet und nebenbei ein therapeutischer Nebeneffekt in Bezug auf den Fremdenhass erzielt werden.
Das utopische Fernziel, das den Befürwortern einer „multikulturellen Gesellschaft“ offenbar vor Augen steht, ist ein gleichberechtigtes Nebeneinander von differenten, möglicherweise auch antagonistischen Lebensweisen, die sich u.a. bestimmten ethnischen Eigenheiten verdanken. Mit diesem Konzept soll das Denken in nationalen Zugehörigkeiten verabschiedet und nebenbei ein therapeutischer Nebeneffekt in Bezug auf den Fremdenhass erzielt werden.
Wie hat man sich diese Vision nun praktisch vorzustellen?
Würde man den Selbstbehauptungs- und
Selbstentfaltungsansprüchen fremder Kulturen wirklich ernstnehmen und das
Konzept der multikulturellen Gesellschaft konsequent zuende denken, dann würden
fremde Kulturen beispielsweise zwar auf eine eigene Währung verzichten wollen,
mit Sicherheit aber nicht auf ihre eigene Sprache.
Das hieße aber, dass die notwendige Verständigung
untereinander schon an der Sprachbarriere scheitern müsste, die Kulturen hätten
sich buchstäblich nichts zu sagen. In weiser Voraussicht solcher Verhältnisse,
die ja nichts weiter wären als ein neues Babel, insistiert man darauf, dass die
Beherrschung der einheimischen Sprache unabdingbar ist. Diese wäre dann für die
fremden Kulturen eine Art Verkehrssprache, ein Vehikel als Minimalvoraussetzung
für den notwendigen Integrationsprozess.
Spätestens hier zeigt sich, dass „multikulturelle Vielfalt“
nichts anderes meint als ethnische Vielfalt, dass „Kultur“ auf eine
Nationalitätszugehörigkeit reduziert und dass damit also genau dem Denken
Vorschub geleitet wird, das mit diesem Konzept doch eigentlich überwunden
werden soll.
Wenn man sich vorläufig darauf einigt, dass Kultur auch
etwas zu tun hat mit einer bestimmten Wirklichkeitsdeutung, mit Wertmaßstäben
und kollektiv ausgehandelten Normen, dann ist in einer multikulturellen
Gesellschaft der Konflikt beispielsweise zwischen eigenen und fremden Normen
unvermeidlich. Grundrechte sind nun einmal nicht kompromissfähig.
Was aber nur heißen kann, dass neben der Verfassung auch das
eigene Rechts- und Bildungssystem absolut unangetastet beleiben muss. Weil die
Integration von so verstandenen kulturellen Lebensweisen schon aus dem
legitimen Selbsterhaltungsinteresse der eigenen Kultur heraus sich schlicht
verbietet, kann es sich bei diesem Gesellschaftsentwurf bestenfalls um ein
beziehungsloses Nebeneinander von partikularen ethnischen Inseln handeln. So
gesehen leben wir schon längst in einer multikulturellen Gesellschaft und
wissen es nur noch nicht.
Vom Standpunkt eines multikulturellen Pluralismus aus drängt
sich das entsprechende Gegenstück in Form eines negativ besetzten, weil
zwangsläufig repressiven Universalismus auf.
In der Tat ist das universalistische Prinzip, der Vorrang
des Allgemeinen vor dem Besonderen, immer einer Begründungsproblematik
unterworfen. Universalistische Staats- und Gesellschaftsentwürfe, die sich
nicht einem Totalitarismusverdacht aussetzen wollen, müssen ihren Allgemeingültigkeitsanspruch
auf einem Begründungs- und Rechtfertigungsweg vertreten. Und hier kündigt sich
eine Schwachstelle an: Die gesellschaftlichen Diskursbedingungen selber nämlich
sind nicht universal, sondern setzen schon ein ganzes System von Begründungsregeln
voraus, die ihrerseits kulturspezifisch zu nennen sind. Es wäre sogar denkbar,
dass die Antwort auf die Frage, was denn überhaupt als Argument gelten kann und
was nicht, in kulturspezifischer Weise variiert.
Was zu dem Schluss führt, dass der Universalismus einer
Weltgesellschaft entweder ein Widerspruch in sich ist oder eben nur ein
schlechter Universalismus, der, anstatt sich argumentativ auszuweisen und zu
legitimieren, einfach Fakten setzt, wie sich am Beispiel des kapitalistischen
Wirtschaftssystems und der Medienindustrie ablesen lässt.
Die immanente Logik des Marktes sorgt für seine eigene,
unkontrollierbare und, nach dem Scheitern des sozialistischen Korrektivs, auch
konkurrenzlose Installation, wodurch Ungleichzeitigkeiten in der Entwicklung
nicht-westlicher Kulturen zwangseingeebnet werden.
Bei der zugrundeliegenden Fragestellung kann es sich deshalb
nicht um eine echte Alternative handeln, weil die Entscheidung offenbar schon
zugunsten einer universalistischen Weltordnung westlicher Prägung gefallen ist
– zugunsten desjenigen westlichen Rationalismus, der zugleich für die Atombombe
und die ökologische Verwüstung verantwortlich zu machen ist.
(geschrieben irgendwann um 1990, handschriftlich auf Papier, ausformuliert am Mac)
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