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Sonntag, 24. Februar 2013

Pavian-Kultur



"Fear, fear - she's the mother of violence
Making me tense to watch the way she breed"
Peter Gabriel, Mother of Violence, 1978




Pavian-Spähtrupp
Jonah Lehrer hat im Magazin "Wired" einen scharfsinnigen Artikel veröffentlicht über den Zusammenhang von sozialen Hierarchien, Hackordnungen und Rangkämpfen, dem daraus resultierenden chronischen sozialen Stress und den gesundheitlichen Folgeschäden. ("Under Pressure. The search for a stress vacine", July 28, 2010).

Ausgangspunkt seiner Überlegungen sind die Studien des Anthropologen Robert Sapolsky über das Sozialverhalten von Pavianen in Kenia Ende der 70er Jahre. Weitere Forschungen und Langzeitstudien in den Folgejahren bestätigen Sapolsky's Thesen. Die gesundheitlichen Schäden von sozialem Stress, nicht nur bei Primaten und Laborratten, sondern auch beim Menschen betreffen das Immun- und Herz-Kreislaufsystem, die Gehirnchemie, sogar die Bildung neuronaler Vernetzungen, und sie verkürzen in hohem Maße die Lebenserwartung.
Hier ein paar Auszüge aus dem Artikel:
"Baboons are nasty, brutish, and short. They have a long muzzle and sharp fangs designed to inflict deadly injury. Their bodies are covered in thick, olive-colored fur, except on their buttocks, which are hairless. The species is defined by its social habits: The primates live in troops, or groupings of several dozen individuals. These troops have a strict hierarchy, and each animal is assigned a specific rank. While female rank is hereditary - a daughter inherits her mother’s status - males compete for dominance. These fights can be bloody, but the stakes are immense: A higher rank means more sex. The losers, in contrast, face a bleak array of options - submission, exile, or death. (...)
While Sapolsky was disturbed by the behavior of the baboons - this was nature, red in tooth and claw - he realized that their cruelty presented an opportunity to investigate the biological effects of social upheaval. He noticed, for instance, that the males at the bottom of the hierarchy were thinner and more skittish. “They just didn’t look very healthy,” Sapolsky says. “That’s when I began thinking about how damn stressful it must be to have no status. You never know when you’re going to get beat up. You never get laid. You have to work a lot harder for food. (...)
If the world is a rough and scary place, then the brain assumes it should invest more in our stress machinery, which will make us extremely wary and alert. The science of stress can illuminate the damage. It can document the chemistry that unravels us from the inside. One day, it might even give us options for preventing the damage, silencing the stress response at its source. But these are mere band-aids, fancy fixes for what remains an inherently societal problem. We tell our kids that life isn’t fair, but we fail to mention that the unfairness can be crippling, that many of us will die because of where we were born. This is the cruel trick of stress: If it were only a feeling, if there were only the despair of having no control or the anxiety of doing without, then stress would be bad enough. But the feeling is just the trigger. We are the loaded gun."
Den letzten Teil übersetze ich:
Wir sagen unseren Kindern, dass das Leben nicht fair ist, aber wir erwähnen nicht, dass Unfairness und Ungerechtigkeit lähmend sein können, dass viele von uns sterben werden, nur aufgrund dessen, an welchem Ort wir geboren wurden. Dies ist der grausame Trick von Stress: Wenn es nur ein Gefühl wäre, wenn es nur die Verzweiflung darüber wäre, keine Kontrolle mehr zu haben oder die Angst davor, die Kontrolle zu verlieren, dann wäre Stress schon schlimm genug. Aber das Gefühl ist nur der Auslöser. Wir sind die geladene Waffe.
Stress bedeutet, dass das emotionslose Reptilienhirn das Kommando über die anderen Hirnteile übernimmt und in den Angriffs-, Verteidigungs- oder Fluchtmodus schaltet. Über die verschiedenen Funktionen der Hirnteile gibt folgender Buchauszug Auskunft: 
 "Das menschliche Gehirn kann als ein Zusammenschluss dreier Gehirne gesehen werden: Den Kern oder Stamm bildet das sogenannte Reptiliengehirn. Darauf sitzt das Säugetiergehirn, welches zusammen mit dem erstgenannten vom Primatengehirn und den Stirnlappen des Neocortex umschlossen wird.Das emotionslose Reptiliengehirn entspricht dem der Schlangen und anderer Reptilien; es reguliert die primitiven Funktionen unseres Körpers, wie Selbstverteidigungs- und Angriffsmechanismen. Seine "Philosophie" ist 100% Wettbewerb.Das Säugetiergehirn (= limbisches System) bildet die Basis für Emotionen, soziales Verhalten und die Sorge um den Nachwuchs. Da die Anlagen des Reptiliengehirns aber auch hier vorhanden sind, bewegt sich die Motivation des Säugetiergehirns ständig zwischen Wettbewerb und Kooperation.Wie der Name vermuten lässt, gleicht unser Primatengehirn dem der Primaten, z.B. der Schimpansen, allerdings verfügen wir außerdem über die bereits erwähnten Stirnlappen, die uns erlauben, komplexe Dinge wie Sprache, Musik, verfeinerte motorische Fähigkeiten, Voraussicht und abstrakte Ideen zu entwickeln. Die Stirnlappen denken 100% kooperativ."(Tim Bärsch, Marian Rohde: Kommunikative Deeskalation: Praxisleitfaden zum Umgang mit aggressiven Personen im privaten und beruflichem Bereich, 2011, S. 56/57)
Folgende Stressreaktionen bei Erwachsenen sind bei Wikipedia aufgelistet:
  • Gehirn: Abbau von Gehirnmasse, Einschränkung der emotionalen Ebene, Durchblutungsstörungen im Gehirn
  • Gefühle: Traurigkeit, Verlustangst, Ärger, Schuld, Vorwürfe, Angst, Verlassenheit, Müdigkeit, Hilflosigkeit, „Schock“, Jammern, Taubheit, Leere, Hoffnungslosigkeit, Deprivation, Demütigung, Steigerung des aggressiven Verhaltens, Bewegungsdrang, Gereiztheit, emotionsloses Denken,
  • Kognition: Ungläubigkeit, Verwirrung, Vorurteile, Konzentration, Halluzinationen, Depersonalisation, Vergesslichkeit.
  • körperlich: Schwitzen, Übelkeit, Enge in Kehle und Brust, Übersensibilität bei Lärm, Atemlosigkeit, Muskelschwäche, Verspannung von Muskeln, Mangel an Energie, trockener Mund, Magen- und Darmprobleme, zeitbedingte Impotenz, Haarausfall, schlechtes Hautbild, rötliche Augen, verminderte Mimik, Herzstechen, Hörsturz, Gelenkschmerzen, Hautausschlag, Schwächung des Immunsystems, langfristige Störung des Verdauungsprozesses sowie erhöhtes Risiko für Bluthochdruck, Schlaganfall und Herzinfarkt.
  • Verhalten: Verminderte Kreativität, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Geistesabwesenheit, sozialer Rückzug, Träume über das Ereignis, Vermeidung von Nähe zu Tatort oder ähnlichen Situationen, Seufzen, Aktivismus, Weinen, Hüten von „Schätzen“
Stress verbraucht achtmal soviel Energie wie ein ausgeglichener Energiehaushalt. Stress verursacht die Ausschüttung der Hormone Adrenalin, Noadrenalin und Cortisol im Blut, was langfristig zu Schäden an den Blutgefäßen führt. Neuronale Korrosion. Stress führt zum Blutabfluss aus dem Verdauungstrakt und dem Gehirn, letzteres verursacht Tunnelblick und Denkblockade.

Stress kann als Folge einer Bedrohung des Selbst oder des Selbstkonzepts aufgefasst werden, wobei die Bedrohung einerseits durch das eigene Scheitern (an unerreichbaren Zielen) verursacht werden kann, oder durch illegitime soziale Handlungen wie Respektlosigkeit,  Missachtung, Überschreitung der eigenen Grenzen (Mobbing, Psychoterror). Ständige Stresserfahrung oder Traumaerfahrung sensibilisiert für weiteren Stress, macht den Menschen dünnhäutiger, die Toleranzschwelle sinkt. Dauergestresste Menschen sind tickende Zeitbomben - "loaded guns".

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